Full text: Dialogform und Argument

C. Die Bedeutung des Wandels 
126 
Theorie, einer Typologie der Veränderungen oder einem ge- 
schichtsphilosophischen Entwurf gesprochen. Auch der vom politi- 
schen Wandel nicht zu trennenden psychologischen Seite des 
Wandels wurde ein naturgesetzlicher oder typischer Verlauf, zu- 
mindest aber die Intention unterstellt, reale psychologische Ent- 
wicklungen zu analysieren und zu erklären. 30 
Der ganzen Debatte liegen, wie leicht zu sehen, die beiden 
fragwürdigen Prämissen zugrunde, die ‘Politeia’ sei erstens eine 
platonische Lehrschrift und enthalte zweitens Ausführungen, die 
von der Themafrage unabhängig und für ihre Beantwortung über- 
fMüssig wären.®1 Was Platon dazu veranlaßt haben sollte, zu- 
nächst die Bestimmung des ungerechtesten Menschen eigens als 
Ziel in Erinnerung zu bringen (544a1-8. 545a2-b1l), um dann 
stattdessen historische Theorien oder psychologische Entwick- 
20-22 mit Anm.70; G. Müller [1981] 171f.; Elias [1984] 176. 180f.; Benar- 
dete [1989] 190f.; weitere Belege z.B. bei Hellwig [1980] 1-8 und Lisi [1985] 
291ff. Anm.69 sowie 297f. Eine irgendwie geartete Anlehnung an die Ge- 
schichte wird oft konstatiert; präzisiert wird dies in der Regel nicht (s. Hell- 
wigs Kritik ebd.). Logisch unklar bleibt vor allem, wie die Abfolge zugleich 
sine Rangordnung und ein geschichtlicher Verlauf sein soll (so z.B. Romilly 
[1959] 88): Richtet sich der Geschichtsverlauf nach (platonischen) Rangordnun- 
gen? — Originell ist Wilamowitz’ Vermutung ([1920] I 433), Platon habe sich 
wohl selbst nicht klargemacht, ob Geschichte in der von ihm beschriebenen 
Weise verlaufe; falls Wilamowitz damit ausdrücken will, daß dieser Aspekt für 
Platon nebensächlich war, wäre ihm zuzustimmen. — Andere Positionen ver- 
treten etwa Salin [1921] 44f., der in Platons Darstellung „sicherste, wenn 
auch harte Wirklichkeit“ erkennen will (unter Verweis auf die Geschichte des 
19, Jhs.) und Linares [1975] 34 ff., der bei Platon einen historischen Prozeß im 
Sinne der marxistischen Geschichtstheorie findet (freilich absteigend). Por- 
cheddu [1984] sieht in der ‘Politeia’ Geschichte dialektisch gedeutet. Schubert 
[1995] 47 implantiert, wie viele vor ihm, Platon die „Überzeugung, daß der 
Verlauf geschichtlicher Stadien sich nach bestimmten Entwicklungsgesetzen 
vollzieht“. 
350 Vgl. Nichols [1987] 128: “As Socrates describes these four regimes and 
the souls of men that correspond to them, each appears inevitably to give birth 
to the regime and soul type below it on the scale. It seems to be impossible 
“or men to retum to the more satisfactory order of things that their fathers 
anjoyed. Nor does Socrates mention any success men have had in holding off 
degeneration for any period of time. He paints a picture of human life that is 
void of human control.” Trotz der Einschränkungen (‘as Socrates describes’, 
appears’, ‘seems’) ist das Referat irreführend: Sokrates versucht keineswegs, 
die Entwicklungen als unabänderlich hinzustellen; vgl. das Folgende. 
351 Dazu die Einleitung.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.