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III. Der Wandel der Ordnungen
der Auflösung aller Dinge die Rede.3% Diese beiden (bei Platon
absichtlich dunkel und rätselhaft formulierten)?’ Aussagen hat
Aristoteles in seiner äußerst gedrängten Paraphrase der Passage
offenbar kontaminiert: ‚Er [sc. Sokrates] sagt nämlich, die Ursa-
che dafür, daß nichts Bestand habe, sondern sich im Verlauf einer
bestimmten Periode wandle, sei etc.‘.%°8 Bei Aristoteles wird also
aus einem Fruchtbarkeitszyklus von Lebewesen ein Kreislauf aller
Dinge — also auch der Verfassungen —, wovon bei Platon selbst
kein Wort zu lesen ist.®° Mit Aristoteles ist das Mißverständnis
natürlich etabliert. %%
396 546a1-7 xalendv uev sımOfvaL nöALv 0UtO ovotÄOav AN’ Enel
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BoaxXunÖgoUuG, EvavtioLG 88 Evavriac. (Mepiodoc begegnet in 546 b 4.)
597 Vgl. 545e1-3 sowie den Kommentar zu 545c8-547c8.
398 1316a4-5 @nol yo aftıov elvaı TO WM MEveLv unOev dAN’ Ev Tv
TEQLÖDw® WETABÄAAELV XTA.
399 Die aristotelische Paraphrase läßt den unmittelbaren Kontext der Stelle
(also die Tatsache und Besonderheit der Musenrede) außer acht und ist auch
sonst unzuverlässig (Belege im Kommentar zu 546a1-547a5). — Gravierende
und schwer begreifliche aristotelische Mißverständnisse über die ‘Politeia’ las-
sen sich auch an anderen Stellen (etwa in Pol.II) nachweisen (mehrere Bei-
spiele sind im Kommentar behandelt); eine umfassende Untersuchung, die sich
nicht mit Beschuldigung oder ‚Entlastung‘ des Aristoteles begnügt, sondern das
{nicht zu leugnende) Phänomen wirklich zu erklären sucht, steht aus und ließe
unter anderem interessante Aufschlüsse über die (wohl meist unterschätzte)
Rolle der Faktoren ‚Umdeutung‘ und ‚Mißverständnis‘ bei der Tradierung von
Texten und Inhalten erwarten. — Vorläufig etwa: Ehrlich [1868]; Bornemann
[1923]; Joseph [1935b] 112-114; Cherniss [1944]; Ryffel [1949] 142-146; Fritz
[1954] 66ff.; Foy [1961/2] 148-150; Burkert [1962] 80 mit Anm.31; Bien
[1968/9] 313; Despotopoulos [1975] 41-43; Dirlmeier [1979] 345 Anm.62,4;
Gadamer [1983a] 441; Zhmud [1989] 281; T.H. Irwin, in: Keyt/Miller [1990]
/Hg. 200-225; Stalley [1990]; Schütrumpf [1991 b] 184. 216-218; R. Simpson,
Apeiron 24/1, 1991, 99-113; Schütrumpf/Gehrke [1996] 605.
100 Es wird seitdem (unfreiwillig) immer wieder reproduziert, etwa von Gigon
[1976 b] 358: „Wie geht es bei Platon nach der Tyrannis weiter? Die sehr
breite Behandlung der Tyrannis und des tyrannischen Menschen gibt darauf
keine Antwort. Man kann eine solche entnehmen aus 546A, wo vom Kreislauf
aller Dinge die Rede ist; wenn auch die Staatsordnungen einen Kreis durchlau-
fen, so müßte aus der Tyrannis wieder die vollkommenste Staatsordnung ent-
stehen.“