Full text: Dialogform und Argument

Kapitel IV: 
Die Analogie zwischen Polis und Seele 
Auf weite Strecken bedient sich Sokrates in der ‘Politeia’ einer für 
den modernen Leser eher befremdlichen Vorgehensweise, nämlich 
des Verfahrens, aus Aussagen über die Polis Aussagen über die 
menschliche Seele zu erschließen. Für den Aufbau und Inhalt des 
sokratischen Arguments ist diese Methode essentiell. Um Sokrates’ 
Vorgehen in der ‘Politeia’ verstehen und beurteilen zu können. muß 
man dieses Analogieverfahren näher beleuchten. 
Dabei gilt es zu klären, wie der Analogieschluß eingeführt (A), 
und, wie er später verwendet wird (B); hieran schließt eine Be- 
stimmung des Kernbereichs der Analogie (C) und ihrer Grenzen 
(D). Es folgen Überlegungen zur argumentativen und gestalteri- 
schen Priorität von Polis oder Seele (E) sowie zu den sich aus 
dem Analogieverfahren ergebenden Konzeptionen der Menschen- 
oder Seelentypen (F) sowie der politischen Ordnungen (H). Wei- 
terhin sind zwei kausale Beziehungen zwischen Polis und Seele zu 
betrachten, nämlich einerseits die Prägung der Polis durch die 
Seele (H), andererseits der Einfluß der Polis auf die Seele (I). 
Zuletzt werden die ermittelten Funktionen des Analogieverfahrens 
knapp zusammengefaßt (K) 
A. Die Einführung des Analogieverfahrens 
Grundgelegt wird die Annahme einer Analogie zwischen Polis und 
Seele, die Aufbau und Inhalt der ‘Politeia’ wesentlich bestimmt, in 
368 c 7-369a4. Dort sieht sich Sokrates vor die Aufgabe gestellt, 
Wesen und Wirkung der Gerechtigkeit in der Seele so zu bestim- 
men, daß seine Gesprächspartner sich von seiner These überzeu- 
gen lassen. es nütze dem Menschen, gerecht zu sein.*14 Um dies 
414 Vol. Kap.l.
	        
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