Full text: Dialogform und Argument

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IV. Die Analogie zwischen Polis und Seele 
der ‚Betrachtung‘ bleiben.*® 2, Die Ähnlichkeit zwischen dem 
Größeren und dem Kleineren, von der hier gesprochen wird, be- 
trifft allein die Eigenschaft, gerecht zu sein. Rückschlüsse auf 
andere einander entsprechende Eigenschaften von Polis und Seele 
sind daraus nicht zu ziehen, es sei denn, diese Eigenschaften wä- 
ren mit dem Gerechtsein zwingend verbunden. Insbesondere ergibt 
sich keine Rechtfertigung, Polis und Seele einen analogen Aufbau 
zuzuschreiben. “*?1 3, Die Ähnlichkeit hat zunächst offenbar den 
Status einer zwar plausibel erscheinenden, jedoch überprüfungsbe- 
dürftigen Annahme. 422 
B. Die Ausweitung des Analogieverfahrens 
Unter neuem Blickwinkel erscheint das so eingeführte Verfahren 
wieder in 434d2-435a3. Hier wird an die eben referierte Stelle 
420 Patzig [1978] 451f. meint denn auch, Platon lasse sich hier (wie an an- 
deren Stellen) von einem Bild irreführen. Suggestiv irreführende Vergleiche des 
Sokrates müssen jedoch nicht immer als platonische Irrtümer aufgefaßt werden 
(vgl. vielmehr Kap. VI, v.a. S.251-288). 
21 Aus dem Sachverhalt, daß der einzelne Mensch und die Gemeinschaft 
der Menschen potentiell die Eigenschaft teilen, gerecht zu sein, folgen nicht 
beliebige andere Ähnlichkeiten (ungenau Cross/Woozley [1966] 131). Vielmehr 
können Kollektive auch Eigenschaften besitzen, die der Einzelne nicht besitzt: 
Ein Heer kann sicher nicht kampfkräftig sein, wenn nicht seine Soldaten (in 
der Mehrzahl) kampfkräftig sind, aber es kann aus verschiedenen Nationen ge- 
mischt sein, ohne daß der einzelne Soldat aus verschiedenen Nationen ge- 
mischt ist. Ebenso kann eine Polis oligarchisch strukturiert sein, ohne daß der 
zinzelne Bürger oligarchisch strukturiert ist. Vgl. unten Abschnitt B sowie 
Anm. 582. 
122 Die Formulierung in 369a2-3 scheint zu besagen, daß am Individuum 
überprüft werden soll, ob die (zunächst nur angenommene) Ähnlichkeit tat- 
sächlich besteht, d.h. ob das Verfahren des Analogieschlusses sich bewährt 
hat (so auch Hall [1974] 423). Die Ähnlichkeit wäre dann kein Axiom, sondern 
überprüfbar und überprüfungsbedürftig. Jede andere Deutung macht den unmit- 
;elbar vorausgehenden Buchstabenvergleich (367 c 7-d 7) unsinnig: Wer die grö- 
Beren Buchstaben gelesen hat und schon weiß, daß die kleineren Buchstaben 
ihnen gleichen, kann sich das Lesen der kleineren Buchstaben ersparen. Einen 
Sinn macht das Lesen der kleineren Buchstaben nur dann, wenn geprüft werden 
soll, ob sie denselben Text bieten wie die größeren; vgl. die Formulierung 
368d7 el td aütA Öövta tTuyXAveı. Vgl. Andersson [1971] 72-77.
	        
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