Full text: Dialogform und Argument

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IV. Die Analogie zwischen Polis und Seele 
[{nstanzen dominiert und die übrigen beherrscht,**® ferner die 
Gleichzahligkeit und Gleichartigkeit der Instanzen in Polis und 
Seele (435b4-c8. 544d6-e6).*1 Zu b führt der Punkt, daß in 
Polis und Seele genau eine Gruppe oder Instanz zur Herrschaft 
befähigt und deswegen auch prädestiniert ist. Zu C führt der 
Punkt, daß nur die Herrschaft des zur Herrschaft Prädestinierten 
auf die Erlangung dessen zielt, was für die ganze Polis bzw. die 
ganze Seele gut ist.“ 
Grundlegend für b ist das Postulat einer natürlichen Hierarchie 
in Polis und Seele. Gerechtigkeit und die drei übrigen Tugenden 
‘Weisheit, Tapferkeit, Selbstbeherrschung) sind dann und nur dann 
verwirklicht, wenn diese Hierarchie hergestellt ist (432b2-434d1. 
141d45-442b 4).4%3 Jeweils eine der vier Formen der Ungerechtig- 
440 Etwa: Die ‚Herrschaft‘ der vernünftigen Seeleninstanz bewegt die Seele 
dazu, auf vernünftige Weise vernünftige Ziele zu verfolgen; die Herrschaft der 
Philosophen schenkt der Polis vernünftige Ziele und einen vernünftigen Weg, 
sie zu erreichen. Durch das korrekt ‚gelenkte‘ Guwoeıdeg bzw. durch die kor- 
rekt gelenkten Wächter ist die Seele bzw. die Polis mutig, etc. — Im Bemü- 
hen, die Ähnlichkeiten aufzuweisen, sollte man nicht verkennen, daß sie zum 
nicht unerheblichen Teil verbal sind und auf metaphorischer Ausdrucksweise 
basieren: vgl. unten Anm. 442. 
441 Gleichartigkeit der herrschenden Instanz genügt dem Schema zufolge zur 
Herstellung gleichartiger Ordnungen; andere Faktoren, wie etwa das gegensei- 
:ige Verhältnis der nicht an der Herrschaft beteiligten Gruppen oder Seelenin- 
stanzen, gelten als dadurch bereits determiniert oder als irrelevant (vgl. 
544e 1-2). — Anders jedoch in 590 b3-c1, wo das gegenseitige Verhältnis der 
nicht an der Herrschaft beteiligten seelischen Kräfte einen Unterschied be- 
wirkt. 
442 Vgl. S.230f. — Nicht ohne Anlaß sei hier explizit betont, daß ‚Herr- 
schaft‘ in der Seele eine (im Griechischen geläufige; z.B. Isokrates, or.2, 29) 
Metapher ist und als solche natürlich einen anderen Sachverhalt bezeichnet als 
Herrschaft in der Polis (vgl. S.223f.). Herrschaft über Menschen ist etwas 
anderes und vollzieht sich mit gänzlich anderen Mitteln als ‚Herrschaft‘ über 
seelische Triebkräfte. Daher bedarf sie beispielsweise auch einer anderen Le- 
gitimation. Es mag Sokrates’ Zielen in der ‘“Politeia’ dienen, den Unterschied 
zu verwischen — vgl. etwa den Übergang von 547e3 (die Herrschaft der 
Streitlustigen) zu 548c6 (die ‚Herrschaft‘ des Streitlustigen), womit von der 
Ausübung politischer Gewalt zu einer die Polis prägenden Eigenschaft umge- 
schwenkt ist —, aber es kann kaum der Klärung und dem Verständnis des 
Textes dienen, wenn Interpreten ihm darin kritiklos und ohne Erläuterung 
nachfolgen. 
443 Daß die Bestimmung der Gerechtigkeit als Herrschaft des zum Herrschen 
Bestimmten auf dem Umweg über das Prinzip, jeder solle das Seine tun, ein-
	        
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