Full text: Dialogform und Argument

E. Die Herstellung der Analogie 
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lassen sich leicht finden.®3 Diese Grenzen betreffen also keines- 
wegs nur Details und unwesentliche Punkte, sondern sie betreffen 
auch ganz und gar zentrale Aspekte. *%* 
Die oben getroffene Aussage, daß die Analogie selektiv genutzt 
wird, läßt sich also dahingehend präzisieren, daß die Vorzüge und 
gestalterischen Möglichkeiten der Analogie mit außerordentlichem 
Geschick eingesetzt, die Klippen und Grenzen der Analogie jedoch 
in weitem Bogen umschifft werden. Diese zielgerichtete Gestal- 
tung deutet nicht darauf, daß Platon selbst ernsthaft an einen 
analogen Aufbau von Polis und Seele geglaubt hat, sondern sie 
deutet auf bewußten Einsatz einer literarischen Technik, einer 
Technik, deren Anwendungspotential in der Hand des souveränen 
Literaten und phantasievollen Schriftstellers immens ist. Der Le- 
ser der ‘Politeia’ kann sich davon an vielen Stellen überzeugen. 
E. Die Herstellung der Analogie 
Um diese literarische Technik noch genauer zu beleuchten, bietet 
sich die Frage an, wie der Schriftsteller die Analogie zwischen 
Polis und Seele herstellt: Werden Züge der Polis auf die Seele, 
oder Züge der Seele auf die Polis übertragen? Der Sachverhalt 
ist, wie sich in den folgenden drei Abschnitten zeigen wird, kom- 
plex: Die grundlegende Struktur von Polis und Seele hat Sokrates 
offensichtlich von der Polis abgeleitet (E); damit ergibt sich eine 
453 Einige davon nennt Williams [1973], der in seinem lesenswerten Aufsatz 
nicht nur grundlegende Inkonsistenzen in der Analogie nachweist, sondern auch 
aussagekräftige Indikatoren dafür benennt, daß Platon sich dieser Inkonsisten- 
zen bewußt gewesen sein muß; vgl. ferner Murphy [1951] 69f. (mit anderer 
Aussageabsicht), Moline [1978] und schon Kirchmann 207f. (in: Schleierma- 
cher [1870]); weiterhin siehe oben S.117f. und unten S.181. — Unbeabsich- 
tigte Beispiele für die Grenzen der Analogie liefern gelegentlich auch die In- 
terpreten, die eigentlich ihre Gültigkeit zeigen wollen. So schreibt etwa Wil- 
son [1983] 35: “The productive or business class ... in the polis is necessary 
to secure its material existence. Similarly, the material existence of a person 
depends on the satisfaction of bodily appetite”. Daß (und weshalb) der dritte 
Stand und das &mx9vuntLx6v sich nicht entsprechen. zeigt hingegen ganz richtig 
Williams [1973] 203 f. 
454 Um die Grenzen der Analogie zu übersehen, muß man schon, wie Sokra- 
tes selbst es tut, kritische Punkte gezielt ausblenden (anders Reeve [1988] 
252).
	        
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