G. Die Konzeption der politischen Ordnung
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weit zurück; dies zeigt sich schon daran, daß mit der Timokratie
und der Oligarchie zwei im herkömmlichen Sinn oligarchische Sy-
steme aufeinander folgen und dennoch als zwei verschiedene Ord-
nungen behandelt werden. 51?
Ausgeblendet werden müssen die staatsrechtlich relevanten Fak-
toren schon deswegen, weil sie für den Analogieschluß auf die
Seele nicht brauchbar wären... Es ist klar, daß sich die Seelenord-
nungen nicht hinsichtlich der Zahl der Regierenden unterscheiden
können;°14 ebenso ungeeignet für Analogieschlüsse wären, wie
leicht einzusehen, Unterschiede bei der Auswahl der Regierenden,
beim Modus ihrer Amtseinsetzung oder bei ihren Machtbefugnis-
sen: kaum denkbar sind in der Seele auch gesetzliche Regelungen
513 Jn der sokratischen Darstellung erscheint auch die Timokratie als Herr-
schaft einer privilegierten Gruppe; im Anfangsstadium der Oligarchie handelt
es sich offenbar sogar weitgehend um dieselbe Gruppe (550d9-551a11). Was
wechselt, ist nur das Auswahlprinzip der privilegierten Gruppe (kriegerische
Kompetenz versus Reichtum), aber nicht das (im herkömmlichen Sinn oligarchi-
sche) Merkmal, daß eine privilegierte Gruppe regiert. (Vom Doppelkönigtum,
dem Ephorat und den anderen politischen Ämtern und Institutionen der histori-
schen lakonischen Ordnung, die im zeitgenössischen Bild von der lakonischen
Ordnung sonst nicht fehlen, ist in der ‘Politeia’ keine Rede; die Anlehnung der
Timokratie an Sparta bleibt also äußerlich: vgl. S.82-84. 89). — Im psycholo-
gischen Schema sind hingegen die Timokratie und die drei folgenden Verfas-
sungen als ‚Herrschaft‘ der mittleren und ‚Herrschaft‘ der unteren Seelenin-
stanz am deutlichsten voneinander geschieden (so auch Voigtländer [1980] 350:
„Zwischen Timokratie und Oligarchie verläuft der tiefste Graben.“). — Der
Terminus ‚Aristokratie‘ ist in der ‘Politeia’ der guten Ordnung vorbehalten
(etwa 544 e 7-8).
*14 Der Unterschied zwischen dem tyrannischen, oligarchischen und demo-
kratischen Menschen beruht nicht darauf, daß in der Seele hier eine einzelne
Instanz, dort eine Gruppe von Instanzen und im dritten Fall sämtliche Instan-
zen ‚herrschen‘, sondern er beruht auf den mit den unterschiedlichen Instanzen
fest verbundenen Zielsetzungen. Formal gesehen handelt es sich bei der ‚Herr-
schaft‘ in der Seele stets um die Alleinherrschaft einer Instanz — wie jeden-
falls das Schema vorsieht (vgl. S.223f. und S.230f.). Beschrieben wird die
demokratische Seelenordnung allerdings (entgegen dem intendierten Schema)
so, als herrsche in ihr eine — freilich offenbar nur die Triebe einbezie-
hende — ‚Demokratie‘; auch diese Darstellung kann allerdings aus sachlichen
Gründen (wegen der abnormen Triebe) nicht ganz konsequent sein (vgl. unten
5.276 f.). In der tyrannischen Seele suggeriert Sokrates das Bestehen einer er-
barmungslosen ‚Tyrannis‘ (vgl. S.117 und 5S$S.163): 555a4-6. 5S61b2-5.
57422. 575a1-3. 577c5-e3. 5794 9-10 u.a.