A. Die Konzeption der Seeleninstanzen
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Epen, bis in die Spätantike. Hieran kann Platons Sokrates anknüp-
fen.
Die mit den epischen und den platonischen Seeleninstanzen ver-
bundenen Konzeptionen weisen einige offensichtliche und einige
weniger offensichtliche Gemeinsamkeiten auf.°!© Wichtig für das
Folgende sind insbesondere zwei Punkte: Bei den seelisch-geisti-
gen Instanzen der frühen Epik handelt es sich einerseits um Fä-
higkeiten, die dem Menschen zu Gebote stehen, andererseits um
Antriebe, die den Menschen beeinflussen und als eigenständige In-
stanzen agieren können.®1® Jeder dieser Antriebe führt offensicht-
lich Erkenntnis-, Empfindungs- und Strebensakte zu einem kom-
plexen Akt zusammen; was sie voneinander unterscheidet, ist die
jeweilige Art, in der erkannt, empfunden und entschieden wird.
Beide Aussagen gelten auch für die Seeleninstanzen der Politeia’.
Daß die Seeleninstanzen der Politeia’ (nicht nur Träger von Fä-
higkeiten, sondern) auch 7riebkräfte sind, zeigt implizit schon der
Modus ihrer Einführung: Zwischen der vernünftigen und der trieb-
haften Instanz könnte nicht ein motivationaler Konflikt aufbrechen
(439 a1-e 1), wenn nicht die vernünftige Instanz selbst ein Wollen
beinhaltete. Explizit behandelt wird dieser Punkt dann in
580d3-581c7.°17 Als unzutreffend erweist sich somit die ältere
615 Offensichtlich ist die Gemeinsamkeit, daß das Handeln des Menschen
durch mehrere aktiv wirkende seelische Instanzen bestimmt wird. Weniger of-
fensichtlich ist der von Schmitt [1990] 216 f. hervorgehobene Sachverhalt, daß
in beiden Fällen die personale Einheit des Menschen nicht einfach gegeben
sei, sondern durch erfolgreiches Wirken der vernünftigen Instanz erst herge-
stellt werden müsse (die Geltung dieses Prinzips in den epischen Texten sucht
Schmitt in seiner Arbeit im einzelnen nachzuweisen).
516 Als Fähigkeiten eröffnen die epischen Entitäten dem Menschen unter-
schiedliche Ebenen und Modi der Wahrnehmung; es handelt sich also um Er-
kenntnisfähigkeiten (unterschiedlicher Art und Qualität); im übrigen sind sie als
psychische Triebkräfte konzipiert (beides zeigt eingehend Schmitt [1990], des-
sen Arbeiten für dieses Thema maßgeblich sind). Die Konzeption, daß Seelen-
instanzen immer auch Triebkräfte sind, findet sich auch bei Aristoteles (etwa
‘De anima’ 432b6-7 el 88 tola H WuXN, Ev Exdotw EotaL Ögeßig).
617 Nur weil die Instanzen “are probably better described as ‘drives’ of the
soul, rather than parts”, können sie auch mit Hilfe von @iA0og-Komposita be-
zeichnet werden (etwa als LA6oowov, YLAOvLXOV und qLÄOXENWATOV), die bei
Platon bekanntlich ein Streben zum Ausdruck bringen (Burkert [1960] 172; T.
Robinson [1970] 56; Heitsch [1993b] 178-182) und in der ‘“Politeia’ an be-
stimmten Stellen dezidiert eingesetzt sind (vor allem in 473c11-487a8.