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V. Seele und Seeleninstanzen
Auffassung, Platon teile die Seele des Menschen ein in Vernunft,
Wille und Emotion;°18 auf der Basis einer glatten Trennung von
Wille und Vernunft wäre jeder Versuch, zwischen Seeleninstanzen
ınd Menschen eine glaubhafte Analogie herzustellen, aufgrund of-
fensichtlicher Absurdität von vornherein zum Scheitern verur-
teilt. °19 Ebensowenig sind in der ‘Politeia’ neuzeitliche Vorstellun-
gen vorweggenommen, die Handeln mit dem Zusammenwirken ei-
nes Erkenntnisvermögens (etwa: der Vernunft) und eines davon
unabhängig zu denkenden Antriebs (etwa: das Begehren) erklären
möchten und dabei das Begehren zur alleinigen Triebkraft des
Handelns, die Vernunft zum alleinigen Träger von Vorstellungen
und Konzeptionen über das Gewollte und Begehrte machen.°®? In
den Seeleninstanzen der ‘Politeia’ vereinen sich vielmehr Streben
und Vorstellungen vom Erstrebten; die Unterschiede zwischen den
Instanzen aber betreffen einerseits die Zuverlässigkeit und Rich-
tigkeit der Vorstellungen (etwa: Wissen vs. wahre oder falsche
Meinung), andererseits die Art und die Kriterien des Strebens
(etwa: Streben nach dem Guten vs. Streben nach dem Angeneh-
men). 621
535d 1-7. 548c1-7. 548d6-549b10, 581a3-c7; zu den drei letztgenannten
Passagen vgl. den Kommentar z.St.).
518 Das Richtige hierzu schon bei Tait [1949] 208 mit Anm.6.
519 Allerdings läßt sich diese Aussage nicht dahingehend ummünzen, die
Konzeption der Triebkräfte in der ‘Politeia’ sei allein durch die Erfordernisse
der Analogie bedingt. Daß die Seeleninstanzen Triebkräfte sein müssen, ergibt
sich unter anderem auch aus der ihnen zugedachten Rolle im sokratischen Ar-
gument.
520 Dazu schon Joseph [1935a] 50-52 und 166-168; klärend sind weiterhin
etwa Cooper [1984] und Patterson [1987] (mit weiterer Literatur 326 Anm.2).
521 Erwägenswert ist die v.a. von Arbogast Schmitt vertretene These, daß
die von Platon (und Aristoteles) verwendete Einteilung menschliches Handeln
sogar besser erklären kann als später entstandene Einteilungen, in denen etwa
Verstand, Emotion und Wille begrifflich voneinander geschieden sind. So ver-
weist Schmitt etwa darauf, daß Streben im allgemeinen ein Streben nach etwas
ist, das als Objekt des Strebens (d.h. als angenehm oder gut) erst erkannt
werden muß, wobei die Erkenntnis eines Objekts als erstrebenswertes Objekt
automatisch Empfindungen mit sich bringt (analog bei Ablehnung). Es gibt
demnach nicht ‚reine‘ Erkenntnis, für sich stehende Empfindung und ein sepa-
rates Wollen, sondern nur einen komplexen Akt. Wenn die moderne Begriff-
lichkeit suggeriert, kognitive, affektive und voluntative Akte könnten vonein-
ander unabhängig sein (oder gar in Opposition zueinander treten), drängt sich
der Verdacht auf, daß die (sachlich offenbar verfehlte) sprachliche Einteilung