Full text: Dialogform und Argument

A. Die Konzeption der Seeleninstanzen 
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Die Konzeptionen 2a und 2b sind, was ihren Status im Argu- 
ment betrifft, nicht gleichwertig: 
Die Konzeption 2b ist im sokratischen Argument zentral. Sie 
schafft die Menschentypen, die den Polistypen entsprechen kön- 
nen, und ordnet sie unterschiedlichen Lebenszielen und Lebens- 
weisen zu.°4 Dies ist Voraussetzung der Analogie, ebenso Voraus- 
setzung des Nachweises für das Unglück des Tyrannen 
(576 b 11-578 b6).°? Die Konzeption 2b erscheint im Text .ab 
441c9, in den Büchern VIII und IX begegnet sie durchgehend 
{vgl. vor allem 580 c9-581e5). 
Die Konzeption 2a hat im Argument der ‘Politeia’ keine eigen- 
ständige Funktion und erscheint nirgendwo außer in der einen Pas- 
sage, in der mit ihrer Hilfe die drei Seeleninstanzen eingeführt 
werden. 543 
Dieser Befund läßt sich am besten damit erklären, daß die Kon- 
zeption 2a überhaupt nur der Einführung der Seeleninstanzen und 
6541 Epwas plakativ identifiziert Rist [1992] die Unterschiede zwischen den 
Seeleninstanzen als unterschiedliche ‘life-styles’. Daraus folgert er, die ‚Ein- 
heit der Seele‘ solle durch eine Reduktion der Pluralität der Lebensweisen “to 
one consistent and harmonious life” hergestellt werden (120). Dies dürfte 
kaum richtig sein. Sokrates spricht von einer (negativ zu bewertenden) Plurali- 
tät von Lebensweisen nur beim demokratischen Menschen (561 c 6-e 8). Anson- 
sten wird in der ‘Politeia’ nicht die Pluralität von Lebenszielen, sonder die 
Wahl der falschen Lebensziele negativ bewertet. 
542 Als ‚Herrschaft der Seeleninstanzen‘ gedeutet werden zwei unterschiedli- 
che psychologische Sachverhalte: a) Nicht selten ordnen sich die zunächst dis- 
parat erscheinenden einzelnen Handlungen des Individuums zu Mustern von le- 
bensgeschichtlicher Stabilität, die sich auf einzelne handlungsleitende Bestre- 
bungen zurückführen lassen, wie etwa das Streben nach Erfolg, Beliebtheit, 
Ruhm, Reichtum oder Macht. Hinter den einzelnen Handlungen der Menschen 
können offenbar Motive stehen, die in unterschiedlichen Situationen konsistent 
und über lange Zeit stabil bleiben. b) Die Motive der Menschen unterscheiden 
sich, aber sie ordnen sich zu Gruppen ‚typischer Motive‘. 
543 Die einzige weitere Stelle, auf die man verweisen kann (und zuweilen 
verwiesen hat), ist 571c3-d4. Dort geht es jedoch nicht um Aktionen, sondern 
um Träume. Auch liegt dort keine Konfliktsituation vor, denn das ‚tierhafte 
Element‘ lebt seine Triebe aus, wenn die anderen Antriebe ‚schlafen‘. Sicher- 
lich ließe sich aus dieser Konstellation eine Konfliktsituation im Sinne der in 
Buch IV beschriebenen konstruieren, Signifikant ist jedoch klarerweise nicht, 
daß diese Möglichkeit besteht, sondern signifikant ist, daß sie nicht genutzt 
wird. (Die nicht näher begründete Implikation bei Klosko [1988] 353 Anm.11 
ist demnach unrichtig.)
	        
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