A. Orientierung des Lesers
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symachos: 336b1ff.; Glaukon und Adeimantos: 357a2ff.) mit
provozierenden Gegenthesen ins Gespräch eintreten. Ein anderer
Gesprächsabschnitt (449b1-544b4) wird einleitend und abschlie-
Bend als Exkurs markiert, auf den Sokrates sich angeblich nur ge-
zwungenermaßen und gegen seine ursprüngliche Absicht einläßt;
der besagte Passus wird dadurch in auffälliger Weise vom übrigen
Gespräch abgehoben.®?” Die vier genannten Einschnitte markieren
Trennlinien innerhalb von Buch I sowie zwischen den Büchern I,
II-IV, V-VII und VIIH-X und legen damit eine Einteilung offen,
die sich auch bei rein sachbezogener Betrachtung ergibt. °98
Der Aufbau des Gesprächs wird aber nicht nur durch die drama-
turgische Gestaltung verdeutlicht: Immer wieder fassen Platons
Dialogfiguren vorausgegangene Äußerungen oder Argumentations-
schritte auch explizit zusammen, erinnern an früher erzielte
Diskussionsergebnisse, rekapitulieren, präzisieren oder modifizieren
frühere Fragestellungen oder methodische Festlegungen, erklären
bestimmte Fragen für beantwortet, stellen den Zusammenhang mit
noch ungelösten Problemen her, konstatieren die zu deren Beant-
wortung noch notwendigen Schritte und setzen dementsprechend
die weitere Vorgehensweise fest. Der Leser wird durch die teils
gliedernden, teils klärenden Bemerkungen über den erreichten
Stand der Untersuchung orientiert, an die übergreifende Fragestel-
697 Dazu Schubert [1995] 126f.: „Es fällt auf, wie bemüht Platon ist, immer
wieder gliedernde und retardierende Momente einzuführen. Denn natürlich sind
Polemarchos und Adeimantos im Recht ... Das gewählte Verfahren indes ist
kunstvoll, wie die Vergegenwärtigung der Alternativen leicht zeigt. Nicht nur,
daß so kühn geschlagene Spannungsbögen erhalten werden und dem Leser die
Gewichtung einzelner Etappen deutlich wird: Das Verfahren erzwingt eine ‚in-
tegrative‘, verschränkende Lesart, die den komplexen Zusammenhängen einzig
angemessen scheint und just die Gefahr der Isolierung einzelner ‚Etappen‘ ver-
meiden soll. Die Verweis- und Verschränkungstechnik leistet, wie die Bildhaf-
tigkeit des Meeresflutens in der Rede von den drei Wellen, guten Dienst.“
598 Eine weitere Gliederungshilfe ist die sokratische Metapher der drei Wo-
gen, die für die drei zentralen Themen der Bücher V-VII steht (457b6-c6.
472a3-4. 473c6-8); vgl. die letzte Anm. Nicht dramaturgisch abgetrennt
wird hingegen Buch X, das von modernen Interpreten oft als Epilog eingestuft
wird. — Cornfords Behauptung, die Einteilung in zehn Bücher habe “little
more to do with the structure of the argument than the division of every Victo-
rjan novel into three volumes had to do with the structure of the stories”
([1941] Preface v), darf demnach als übertrieben gelten. Zu einseitig auch
Neschke-Hentschke [1985] 12.