B. Auswahl und Rangfolge (543 c 4-545c7)
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Platons Sokrates geschaffene Konstruktion ist, zeigt sich an vier
Besonderheiten:
1) Während es sich bei den Begriffen Oligarchie, Demokratie
und‘ Tyrannis um Gattungsbezeichnungen handelt, sind Kreta und
Sparta Eigennamen. 211
2). In der Formulierung 544c2-3 % te Örd tüv rmoMlGv
EraLvoupEvn, 7 Kpntıxn te xl Auxwvıx) «Utn wird nicht nur,
wie auch bei anderen Autoren üblich, „die Vielzahl kretischer
Staaten ... für die theoretischen Zwecke einer Verfassungsbe-
trachtung als Einheit behandelt“,222 sondern Sokrates setzt hier
‚die‘ .kretische und die lakonische Ordnung, die bei Platon sonst
immer als zwei einander ähnliche Ordnungen auseinandergehalten
werden, ?!3 in eins.?4 So wird der Eindruck erweckt, die Rede sei
von einem Verfassungstypus. 215
211 Die Auffälligkeit dieser Verbindung notiert bereits Keber [1957] 66.
212 Schütrumpf [1991 b] 332.
213 In Cri.52e5-6. Lg.634d5. 642e6-7. 683a2. 693e7-8. 836b5-6.
842b 3-5 (vgl. Prt.342a6-d4. Lg. 674a4) ist von zwei Ordnungen die Rede;
dies gilt auch für die Reminiszenz in Lg.683a2, wo die beiden Ordnungen als
‚verschwistert‘ (0 ddöei\goilg vöpows) bezeichnet werden, denn nur zwei Ord-
nungen können ‚verschwistert‘ sein (zur Metaphorik s. Demandt [1978] 28-30).
Ebenso bei Aristoteles Pol.1271 b 40-1272 b 23. b28 u.a.
214 Diesen Eindruck erwecken der Singular und te xai. — Eine bekannte
Tradition, gegemr die Xenophon opponiert (Lac.1, 2; vgl. auch Isokrates, or.11:
Herkunft eines Teils der lakonischen Ordnung aus Ägypten), sprach von der
angeblichen Herkunft der lakonischen Ordnung aus Kreta (Herodot I 65, vgl.
R.452c 8-9; dazu Schütrumpf [1991 b] 333). Dennoch soll nach Polybios VI 45,
1 neben Platon, Kallisthenes: und Ephoros auch Xenophon die Verfassungen
Kretas und Spartas gleichgesetzt haben; „soweit es Xenophon und Kallisthenes
angeht, ist die Bemerkung des Polybios für uns unverständlich bzw. nicht
nachvollziehbar“ (Schütrumpf [1991b] 332 mit Literatur; vgl. Brunt [1993]
271). — In der späteren Beschreibung der Timokratie finden Ollier [1933/43] I
237 Anm.2 und E. Kirsten, Die Insel Kreta im fünften und vierten Jahrhundert,
Diss. Leipzig 1936, 67 keinerlei speziell für Kreta typische Merkmale.
215 Zu Unterschieden zwischen der kretischen und der lakonischen Ordnung
siehe etwa Aristoteles (Pol.1269a29-1271b19/1271b 20-1272b24; dazu
Schütrumpf [1991b] 330-333) und Polybios (IV, 45, 1ff.). In Platons ‘Nomoi’
ist „an einzelnen Stellen Kreta auch allein genannt und in Einzelheiten von
spartanischen Sitten abgehoben“: Schütrumpf [1991b] 333. Zu den (zum Teil
erheblichen) Unterschieden zwischen der kretischen und der lakonischen
Staats- und Lebensordnung, die dem Historiker greifbar sind, siehe Link
[1994 b] 10-21. 28-48. 97-118.