Full text: "Nur deshalb sind dem Tode wir entronnen, damit wir an dem Frieden bau'n"

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BRIEF AN EINE TOTE 
Von Erika Buchmann 
Liebe Charlotte Eisenblätter! 
Im Strafblock des .Frauenkonzentrationslagers Ravensbrück haben wir uns 
zuerst gesehen, Du und ich. Du saßest eng an die Wand gepreßt hinter 
dem Tisch, Sonne lag auf Deinem rotblonden lockigen Haar. Plötzlich 
fielst Du in Dich zusammen — ohnmächtig. Zu stark hatte der von Sonnen 
brand zerfressene Fuß geschmerzt. Du hattest nicht den Mut gehabt, darum 
zu bitten, daß man Dich ein wenig hinlegen ließe. Du sagtest mir, als ich 
Dich in Dein Bett gebracht hatte, Du hättest Angst, die Blockälteste bekäme 
Schwierigkeiten, wenn die Beamtin Dich im Bett bemerken würde. 
Ein paar kurze Worte von Dir zu mir genügten, daß wir um einander 
wußten. „Antifaschistin?" „Ja, Berlin." „Illegal?" „Ja, illegal." Und Du 
hast alle Schmerzen vergessen, erzähltest von Deiner politischen Arbeit, still, 
bescheiden, selbstverständlich. „Schwierigkeiten?" „Nun ja, natürlich — 
viele sind verhaftet, viele ... Es wird zu einem Prozeß kommen, vielleicht 
schon bald." Ich kann nicht zweifeln: Du wirst zum Tode verurteilt werden, 
den letzten Urteilen entsprechend. Angst um den eben gefundenen 
Kameraden fällt über mich. Spürst Du etwas von meinen Gedanken? „Es 
ist schön zu leben, trotz allem, auch hier noch — aber wenn es sein muß—■ 
— vielleicht ist der Krieg zu Ende, ehe unser Prozeß beginnt, vielleicht 
haben wir Glück." 
Ein paar Wochen später bist Du mager und blaß geworden, Lotte Eisen- 
blätter, krank wie wir alle. Zu zart war Dein Gemüt für die Hölle, in die 
Du geraten warst. Staunend gingen Deine Augen von Gesicht zu Gesicht. 
So viel Not und Elend, so viel Unmenschlichkeit gibt es? Du tatest das 
Schlimmste, was Du unter diesen Umständen tun konntest: du warst anders 
als die andern. Und so sehr wir wenigen Politischen im Strafblock Dich 
liebten, so sehr setzte Dir die Masse zu, verwundete Dich, wo es ging, 
lachte über Dich, konnte Dich nicht verstehen. 
Du warst in den Strafblock gekommen, weil Du auf Geheiß einer Aufseherin 
Deine Notdurft an einer Stelle verrichtet hattest, die nicht dazu bestimmt 
war. In der Toilette war zu großer Andrang. Du solltest schnell zurück zur 
Arbeit am fließenden Band. Und eine andere Aufseherin hatte Dich dabei 
erwischt — ein Vierteljahr Strafblock wurde Dir zudiktiert. Daß hieß drei 
Monate Zusammenleben mit den undiszipliniertesten Häftlingen des Lagers, 
unter den strengsten und härtesten Bedingungen, bei einer Arbeit, die weit 
über Deine Kräfte ging. Aber Du hast Dich tapfer durchgebissen. Korb um 
Korb trugen wir beide durch die langgestreckten Gemüsekeller zu den 
wartenden Autos, frierend und hungrig. Unsere Gedanken waren weit 
weg, unsere Gespräche ließen uns alles ertragen; die alten Lieder aus den 
Wanderjahren in der sozialistischen Jugendbewegung beschleunigten unsere 
Schritte. Immer wieder fandest Du etwas Liebenswertes bei den Menschen 
Deiner Umgebung, immer Entschuldigungen. Du warst ein trostreicher 
Kamerad für Deine Freunde, Lotte Eisenblätter, und als Du nach drei 
Monaten auf den freien Block zurückgingst, hinterließest Du bei uns im 
Strafblock eine Lücke, die sich nicht wieder schloß.
	        
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