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Nun bist Du tot. In diesen Tagen jährt es sich zum fünften Mal, daß Du
hingerichtet wurdest für Deinen Bekennermut, für Deine Liebe zu allen ■
Unglücklichen, für Deinen unbeugsamen Kampf gegen den Ungeist der
zwölf Jahre, gegen den Krieg. Liebe ist um Dich heute, wie gestern. Dein
Name ist uns Verpflichtung. Und wenn wir wirklich etwas Gutes geschafft
haben — für Dich soll es gewesen sein, liebe Lotte Eisenbiätter.
Abschiedsbrief von Charlotte Eisenblätter
Meine lieben Freunde und Bekannten!
Am Vortag zu meinem Prozeß — heute ist Sonntag — drängt es mich,
Euch allen noch einmal zu danken für Eure Güte und Liebe, mit weither
Ihr mich in der Freiheit und besonders in den zwei Jahren meiner Inhaf
tierung beglückt habt. Diese Liebe und Güte wird mich auch das Schwerste
ertragen lassen, denn es besteht kein Zweifel, daß ich ein Todesurteil erhalte.
Ihr sollt deshalb aber nicht trauern; ich habe ein reiches Leben gehabt, wie
es viele nicht haben, die 60 Jahre oder noch älter werden. Ich habe so j
viele glückliche Stunden genossen bei der Arbeit, im Freundeskreis und
auf meinen Reisen. So ging mein Kampf letzten Endes nur dahin, allen ;
Menschen zu solchen glücklichen Stunden zu verhelfen. Diese Erkenntnis
gewann ich auf meinen vielen Wanderungen und Reisen, und glaubt mir, J
so sehr ich das Leben liebe, so gern sterbe ich für diese meine Idee.
Als junges Mädchen fand ich einen Spruch von Plato, den ich mir zum j
Lebensziel und Inhalt setzte:
Denken, was wahr,
und fühlen, was schön,
und wollen, was gut ist,
darin erkennt der Geist
das Ziel des vernünftigen Lebens.
Sun geht das Leben zu Ende, es ist Schicksal, man entgeht ihm nicht.
Darum gedenkt meiner in Liebe und trauert nicht. Ich wünsche Euch
Gesundheit, damit Ihr einst am Aufbau unseres Vaterlandes mithelfen könnt.
Es umarmt Euch in Liebe und Dankbarkeit
Eure Lotte