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RAVENSBRÜCK — ERINNERUNG UND MAHNUNG
Von Rosa Thälmann
Während unserer schweren Jahre der Verfolgung und Haft beseelte uns
immer wieder der heiße Wunsch, noch einmal durch den Wald und über die
Felder rings um Ravensbrück als freie Menschen zu gehen. Wie oft sprachen
wir davon, wenn wir die Freiheit erleben, dann werden wir uns in Ravens
brück Wiedersehen. Am 28. April waren es vier Jahre, daß sich hinter den
30 000 Frauen aus 18 Nationen das Lagertor schloß.
Zahlreicher, als es im Vorjahre möglich war, kommen aus vielen Ländern
Kameraden und Kameradinnen in Ravensbrück zusammen. Es sind die
jenigen, die über alle weltanschaulichen und nationalen Unterschiede hinweg
eines gemeinsam hatten: den Haß gegen die Terrorherrschaft des National
sozialismus und die Liebe zu allen Unterdrückten. Daraus erwuchs ihre
Kraft, sich der Brutalität entgegenzustemmen. Aus dem gemeinsamen Kampf
entstand die feste Freundschaft zwischen Tschechinnen, Russinnen, Polinnen,
Französinnen, Norwegerinnen, — um nur einige zu nennen —, und uns
deutschen Frauen. Das alte Kampflied:
„Uns bindet die Liebe,
uns bindet die Not,
zu kämpfen für Freiheit und Brot"
ist bei uns in die Tat umgesetzt worden. Wir haben um Löffel, um ein
Hemd, um jede Verbesserung zäh gekämpft. Wo Widerstandskämpfer ihren
Arbeitsplatz hatten, sorgten sie für die Lagerinsassen. Oft standen wir mit
geballter Faust, wenn in der Hölle von Ravensbrück die Menschen vergast,
vernichtet wurden. Vielen konnte — wenn wir von neuen Vernichtungs
listen erfuhren — durch hartnäckigen Widerstandskampf noch das Leben
gerettet werden, aber Tausende sind geblieben. Wir Häftlinge haben eine
Straße gebaut mit Asche unserer toten Frauen. Auf dem Wege von Ravens
brück bis nach Barth an der Ostsee liegen unsere Toten, denen der Marsch
in die Freiheit nicht mehr gelang. Nie werden wir sie vergessen! Nie wird
uns der Geruch von verbranntem Menschenfleisch, der in der Nacht in
unsere Blocks strömte, verlassen.
Und unvergessen sind unsere Männer und Brüder, mit denen wir zuvor
gemeinsam gekämpft und die wir nach unserer Befreiung nicht wiedersahen,
weil Hitlerschergen sie zu Tode gequält oder hingerichtet hatten. Wir haben
geschworen, daß sie alle nicht umsonst ihr Leben gelassen haben, sie leben
in uns. Mit verdoppelten Kräften müssen wir ihre Sehnsucht nach Frieden
und menschenwürdigem Dasein aller Schaffenden erfüllen.
Vier Jahre nach unserer Befreiung durch die Rote Armee sind schon wieder
a te und neue Kräfte am Werk, das deutsche Volk in einen neuen Weltkrieg
zu hetzen. Nicht nachzulassen im Krieg gegen den Krieg ist die besondere
Verpflichtung gegenüber unseren Toten!