Full text: "Nur deshalb sind dem Tode wir entronnen, damit wir an dem Frieden bau'n"

18 
VERGISS ES NIE! 
Von Helene Overlach 
Es war kurz vor dem Ende im Frühjahr 1945. Die Engländer rückten vom 
Westen vor, die Rote Armee vom Osten. Zum Zwecke der Vernichtung 
jagten die Lagerkommandanten Zehntausende von KZ-Gefangenen von 
einem Lager in das andere. Weite Fußmärsche, tagelange Fahrten in voll 
gepreßten Waggons ohne Wasser, ohne Brot — das bedeutete für Tausende 
den Hungertod. So kurz vor dem Ende sterben, so nahe der Befreiung? 
Nein! Wieder und wieder raffte sich der entkräftete Körper empor, bis 
doch das Ende kam. Zahllose Körper Erschossener zeichneten den Weg, 
den die Todgeweihten zogen. So näherten sich eines Frühmorgens die 
Reste eines Zuges von 2000 Männern den Toren des Konzentrationslagers 
Ravensbrück. 
Wir marschierten gerade zur Arbeit. Wir standen und starrten, bis ins 
Tiefste erschüttert. Die Hände ballten sich, ein abgrundtiefer Haß stieg 
hoch gegen die entmenschten Bestien, Schildhalter der großen Kapitalisten, 
bis sich das befreiende Gelöbnis losrang: Kampf ihnen bis zur Vernichtung! 
Wie ein Hauch der Sterbenden wehte es über uns: 
Ein silbergrauer See, an dessen Ufern sich ein Städtchen kauert, 
Die Wolken ziehen tief darüber hin. 
Ein Morgen im April uns kühl umschauert, 
Was sehn wir an den frühlingsgrünen Ufern ziehn? 
Ein Zug, gespensterhaft und schaurig, 
Einst Männer, jetzt Gerippe, nahen sie; 
Die Knie vorgeschoben, Schritt für Schritt, 
So schleppen sie sich vorwärts, brechen in die Knie. 
Vom Kolben des SS-Manns hochgestoßen, tun sie noch einen Schritt, 
Und wieder stehn sie still. 
Der Körper krümmt sich unter hohlem Husten, 
Das Herz den schweren Dienst nun nicht mehr leisten will. 
Zieht ihr zur Toteninsel, müßt ihr in die Kammern? 
Die Rettung ist so nah! Kameraden, greifet sie! 
Vielleicht läßt sich das schlimme Los noch wenden, 
Zwingt nur für kurze Zeit Gevatter Tod noch in die Knie! 
Wenn ich der Freiheit leuchtend Bild bald Wiedersehen sollte, 
Wenn ich mein Kind in meine Arme liebend schließen will, 
Wenn ich zu neuer Arbeit meine Kraft entfalte, 
So mahnt dies Bild zerstörten Lebens mich: 
Vergiß es nie!
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.