Full text: "Nur deshalb sind dem Tode wir entronnen, damit wir an dem Frieden bau'n"

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BEGEGNUNG MIT FRAUEN AUS LIDICE 
Von Edith Hauser 
Nicht ganz ohne bange Gedanken, nicht ohne Hemmungen waren wir als 
Delegierte zum Weltfriedenskongreß nach Prag gefahren, wir aus Deutsch 
land, wir ein Teil des deutschen Volkes, in dessen Namen die meisten der 
auf diesem Kongreß vertretenen Länder, ja die meisten der Delegierten 
persönlich, verfolgt, geschändet und unterdrückt worden waren. Auf der 
Reise kamen wir an Theresienstadt vorbei und an einem ehemaligen Prager 
Gestapogefängnis. 
Es war nicht nur ein Gefühl der Erleichterung, das uns bei dem herzlichen 
Empfang im Kongreßsaal und später bei den begeisterten Hochrufen der 
Prager Bevölkerung auf das demokratische Deutschland befiel. Die tiefe, 
warme Freundschaft, die uns von allen Seiten entgegenkam, die ihren Aus 
druck darin fand, daß tschechoslowakische Bergarbeiter uns im Namen 
ihres Volkes für unser Volk Geschenke überreichten, darin, daß wir, ob 
wohl die deutsche Sprache nicht zu den offiziellen Kongreßsprachen 
gehörte, von der Tribüne des Kongresses aus und im Rundfunk in unserer 
Muttersprache sprechen konnten, gab uns Mut und Stärke. Die inter 
nationale Verbundenheit, die sich zwölf Jahre lang unter Ausschluß des 
deutschen Volkes schlechthin zwischen den Widerstandskämpfern der 
Nationen und den Deutschen der Konzentrationslager, Zuchthäuser und 
Untergrundbewegungen bewährt hatte, diese Verbundenheit ist nun hundert 
tausendfach erweitert, und sie wird immer stärker zur Freundschaft der 
Völker mit dem ganzen deutschen Volk werden, wenn wir nur verstehen, 
die Kriegstreiber und die Lakaien fremder Kriegsmächte im ganzen Lande 
aus unserer Mitte auszustoßen. 
Aber niemand kann das Vergangene ungeschehen machen. Die Völker ver 
gessen nicht, und wir dürfen nicht vergessen. Es kam auf diesem Kongreß 
eine über alle Maßen schwere Stunde. Zu den Delegierten aus allen Teilen 
der tschechoslowakischen Volksrepublik gehörten auch Vertreterinnen der 
wenigen überlebenden Frauen aus Lidice. Als der Präsident des Kongresses 
ihr Erscheinen ankündigte, war es so still im Saal wie sonst nie. Und es 
war auch um uns, um die deutsche Delegation, sehr still. Plötzlich konnten 
wir uns nicht mehr zugehörig fühlen zu den Helden des Widerstandes, zu 
den Friedenskämpfern im Saal. Wir waren allein, allein mit der Schuld 
und Schande Deutschlands. Ob einer unter uns nach jahrelanger KZ-Haft 
nicht nur ein Auge, sondern seine ganze Gesundheit verloren hatte, ob von 
der Familie eines anderen nur er allein schließlich lebend zurückblieb, 
während alle seine Angehörigen in den Gasöfen von AuSchwitz und 
Maidanek umgekommen waren, ob ein anderer der deutschen Delegierten 
jahrelang unter größten persönlichen Opfern Partisan und Widerstands 
kämpfer gewesen war, ob unsere ganze Abordnung den konsequent demo 
kratischen, friedliebenden Teil des deutschen Volkes vertrat, das alles wurde 
zurückgedrängt. Hier saß nur noch Deutschland, und dort kamen drei 
Frauen, Menschen vom Lande in Kopftüchern, wie sie sie bei der Arbeit 
tragen. Wie alt sie waren? Vielleicht war eine jüngere Frau dabei. Aber 
was Gram ünd Entsetzen, Kummer und Heroismus in ihre Züge gegraben 
hatten, das ist nicht mehr auszulöschen.
	        
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