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Tage — es war gerate Sonntag — in die Kirche gehen wollte, fiel der Zweig
heraus. Da wurde der Mann, der daneben stand, rot, bückte sich und wollte ihn
in die Tasche stecken. Doch die Frau sah eö und fragte, was es sür ei» Blatt sei.
„Es ist von der Traumbuche; sie meint eS besser mit mir, wie du!" erwiderte
der Mann. „Denn als ich gestern draußen war und unter ihr saß, schlief ich ein. Da
wollte sie mich wohl trösten; denn mir träumte, du wärest wieder gut und hattest
alles vergessen. Aber es ist nicht wahr! Es ist nichts mit der alten gute» Buche.
Ein schöner herrlicher Baum ist sie schon, aber von der Zukunft weiß sie nichts."
Da starrte ihn die Frau an, und dann ging es wie ein Sonnenschein über
ihr Gesicht: „Mann, hast du das wirklich geträumt?"
„Ja!" entgegnete er fest, und sie merkte, daß es die Wahrheit war; denn
er zuckte mit dem Gesicht, weil er nicht weinen wollte.
„Und ich war wirklich deine Frau?"
Als er auch dies bejahte, fiel ihm die Frau um den Hals und küßte ihn
so oft, daß er sich ihrer gar nicht erwehren konnte. „Gelobt sei Gott," sagte
sie, „nun ist alles wieder gut! Ich habe dich ja so lieb, — so lieb, wie du es
gar nicht weißt! Und ich habe die Tage solche Angst gehabt, ob ich dich denn
auch wirklich lieb haben dürfte, und ob mir nicht Gott eigentlich einen andern
Mann bestinunt hatte. Denn mein Herz gestohlen hast du mir doch, du böser
Mann, und ei» bißchen Betrug war doch dabei! — Ja, gestohlen hast du mir's;
aber nun weiß ich doch, daß es dir nichts geholfen hat, und daß es auch ohne
dem so gekommen wäre." Darauf schwieg sie eine Weile und fuhr dann fort:
„Nicht wahr, du sprichst nie wieder schlecht von der Traumbuche?"
„Nein, niemals; denn ich glaube an sie; vielleicht etwas anders wie du,
aber darum doch nicht weniger fest. Verlaß dich darauf! Und den Zweig wollen
wir vorn inS Gesangbuch heften, damit er nicht verloren geht."