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gewesen: willst du für ihn betteln gehen, barfuß und in Lumpen wie das aller-
ärmste Bettlcrweib, so lange bis du hundert Goldgulden erbettelt hast, so ist
dein Mann erlöst. Dann nimm ihn an der Hand, gehe mit ihm in die Kirche
und lege die hundert Goldgulden in das Kirchbccken für die Armen. Wenn du
das tust, so wird Gott deinem Manne seine Sünden vergeben, der Rost wird
abgehen, und er wird wieder so weiß werden wie zuvor."
. „Das will ich tun," sagte die junge Ritterfrau, „und wenn cs mir noch
so schwer wird, und es noch so lange dauert. Ich will meinen Mann erlösen,
denn er ist nur auswendig verrostet, das glaube ich ganz sicher!"
Darauf ging sic fort, tief in den Wald hinein, und nicht, lange, so
begegnete ihr ein altes Mütterchen, welches Reisig suchte. ES hatte einen
zerlumpten, schmutzigen Rock an und darüber einen Mantel, der war aus
eben so vielen Flicken zusammengesetzt, wie weiland das heilige römische Reich;
was aber die Flicken früher für eine Farbe gehabt, daS konnte man kaum
mehr sehen, denn Regen und Sonnenschein hatten schon viel Arbeit mit dem
Mantel gehabt.
„Willst du mir deinen Rock und deinen Mantel geben, alte Mutter,"
sagte die Ritterfrau, „so schenk' ich dir alles Geld, waS ich in der Tasche habe
und meine seidenen Kleider noch dazu; denn ich möcht»' gern arm sein."
Da sah die alte Frau sie vertvundert an und sprach: „Will'S schon tun, will'S
schon tun, mein blankes Töchtcrchen, wenn's dein Ernst ist. Hab' schon viel gesehen
auf der Welt, auch viel Leute gefunden, die gern reich werden wollten, daß aber
jemand gern arm werden will, das ist. mir noch nicht vorgekommen. Wird dir
schlecht schmecken mit deinen seidenen Händchen und deinem süßen Frätzchen!"
Aber die Ritterfrau hatte schon begonnen sich auszuziehen und sah dabei so
ernst und so traurig aus, daß die Alte wohl merkte, daß sie keinen Scherz treibe.
Sie reichte ihr also Rock und Mantel hin, half ihr sie anlegen und fragte dann:
„Was willst du nun tun, mein blankeö Tdchterchen?"
„Betteln, Mutter!" antwortete die Rittcrfrau.