Full text: Träumereien an französischen Kaminen: Märchen

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hatte, der sich um ihn bekümmerte. Aus fremdem Lande war er gekommen, woher, 
das wußte keiner. Er war jeden Morgen auf die Kuppe des Berges gestiegen 
und hatte dort stundenlang gesessen. Aber bald war er gestorben und man hatte 
ihn begraben. Einen Namen hatte er ja sicher gehabt; wie er aber gelautet, 
wußte ebenfalls niemand, nicht einmal der Totengräber. Im Kirchenbuche 
standen nur drei Kreuze und dahinter „ein alter fremder Hagestolz, gestorben am 
so und so vielten, im Jahre des Herrn so und so." — 
Das ist nun freilich sehr wenig; aber die zwei kleinen Kinder des Toten 
gräbers, von denen ich eben erzählen wollte, hatte» das alte, verlassene Grab 
in der Kirchhofsecke ganz besonders gern; denn es war ihnen erlaubt, auf ihm zu 
spielen und herumzutrampeln, soviel sie Lust hatten, wahrend sic die andern 
Gräber nicht anrühren durften. Diese waren alle sehr sorgfältig im Stand ge 
halten; das Graö war frisch geschoren und dicht wie Samt, auch blüten aller 
hand Blumen auf ihnen, die der Totengräber täglich mit großer Sorgfalt begoß, 
wozu er sich das Wasser mühsam aus dem Dorfbrunnen heraufschleppen mußte. 
Auf vielen lagen auch Kranze und bunte Bänder. 
„Trinchen," sagte der kleine Knabe, der vor dem verlassenen Grabe kniete, 
indem er sich wohlgefällig daS Loch besah, welches er in die Seitenwand des 
Grabes mit feinen kleinen Handen hincingcgraben hatte, „Trinchen, unser Haus 
ist fertig. Ich habe es mit bunten Steinchen ausgepflastert und Blumenblätter 
darauf gestreut. Ich bin der Vater und du bist die Mutter. — Guten Morgen 
Mutter, was machen unsre Kinder?" . 
„Hans," entgegncte die Kleine, „du mußt nicht so rasch spielen. Ich habe noch 
keine Kinder, aber ich werde gleich welche bekommen." Darauf lief sie zwischen den 
Gräbern cnid Büschen umher und kam, beide Hände mit Schnecken gefüllt, wieder: 
„Höre,Vater, ich habe schon sieben Kinder, sieben wunderschöne Schncckenkinder!" 
„Dann wollen wir sie gleich zu Bett bringen, denn cs ist schon spät." 
Sie pflückte» grüne Blätter ab, legten sie in das Loch, die bunten 
Schneckenhäuser darauf, und deckten jedes wieder mit einem grünen Blatte zu.
	        
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