Full text: Träumereien an französischen Kaminen: Märchen

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Das war nun allerdings eine sehr schwere Bedingung, weil die meisten Menschen 
viel zu neugierig sind, und so mißlang es denn auch den allermeisten, die es 
versuchten; und zu der Zeit, wo die folgende Geschichte sich zutrug, war im Dorf 
wohl kein einziger, weder Mann noch Weib, dcm's auch nur ein einziges Mal gelungen 
wäre. Aber seine Richtigkeit hatte es mit der Traumbuche, das war sicher. — 
EineS heißen SommcrtagcS also, da kein Lüftchen sich regte, kam auch 
einmal ein armer Handwcrköburschc die Straße daher gewandert, dem war es 
in der Fremde viele Jahre hindurch weh und übel gegangen. Als er vor dem 
Dorfe anlangte, drehte er zum Uebcrfluß noch einmal alle seine Taschen um, 
doch sie waren sämtlich leer. „Was sangst du an?" dachte er bei sich. „Tod 
müde bist du; umsonst nimmt dich kein Wirt auf, und das Fechten ist ein 
beschwerliches Handwerk." Da erblickte er die herrliche Buche mit dem grünen 
Rascnhügcl davor; und da sie nur wenige Schritte abseits vom Wege stand, 
legte er sich unter sic ins Graö, um etwas auszuruhen. Doch der Baum hatte 
ein seltsames Rauschen, und wie er seine Zweige leise bewegte, ließ er bald hier, 
bald da, einen feinen glitzernden Sonnenstrahl durchfallen und bald hier, bald 
da ein Stückchen blauen Himmel durchscheinen; da fielen ihm die Augen zu, 
und er schlief ein. 
Als er eingeschlafen war, warf die Buche einen Zweig mit drei Blattern herab, 
der fiel ihm gerade auf die Brust. Da träumte er, er säße in einer gar heim- 
lichcn Stube am Tisch, und der Tisch wäre sein, und die Stube auch, und ebenso 
das Hans. Und vor dein Tisch stände eine junge Frau, stützte sich mit beiden 
Handen auf den Tisch und sahe ihn gar freundlich an, und das wäre seine 
Frau. Und auf seinen Knien säße ein Kind, dem fütterte er seinen Brei, und 
weil er zu heiß wäre, bliese er immer auf den Löffel. Und da sagte die Frau: 
„Was du doch für eine gute Kindermuhme bist, Schatz!" und lachte darüber. 
In der Stube aber spränge noch ein andres Kind herum, ein dicker, pausbackiger 
Junge, und hatte an eine große Mohrrübe einen Bindfaden gebunden und zöge 
sie hinter sichrer, und riefe immer hü und hott, als war's der beste Fuchs.
	        
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