Full text: Ein Leben voller Abenteuer (1)

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Leutnants-Leben 
„die Woche" hatte, trat herein. Wahrscheinlich hat mancher Leser 
schon von der Liebe auf den ersten Blick gehört und ungläubig ge- 
lächelt, allein ich kann ihm nicht helfen und muß der Wahrheit ge 
mäß berichten, daß es mir beim Anblick dieses Mädchens war, als 
führe mir ein elektrischer Funken ins Herz und als höre ich im 
Himmel sämtliche Engel einen Tusch blasen. Ein Blitz erleuchtete das 
ganze vor mir liegende Leben, und ohne zu hören, hörte ich mit dem 
innerlichen Ohr mächtige sanfte Stimmen jubeln: „Sieh, das ist sie, 
das ist die andere Hälfte deiner Seele, das ist dein Weibl“ 
Helene war gegen sechzehn Jahre. Der alte Bildhauer Zwerger 
pflegte zu sagen, er würde tausend Gulden darum geben, wenn er 
sie zur Statue einer Hebe abformen dürfte. Sie trat mit einer Schale 
in der Hand ins Zimmer, — es war Rindtleischsauce und nicht Nektar 
— und Hebe selbst hätte sie nicht mit mehr Grazie halten können. 
Sie trug an jenem Tage ein einfaches gelbes Kattunkleid mit dunkeln 
runden Tupfen und schwarzen Litzen, welches zu der Tizianfarbe 
ihrer Haut ganz besonders paßte. Schultern und Brust waren zum 
Teil frei, die Arme bloß, und edlere Formen konnte kaum ein 
griechisches Meisterwerk aufweisen. Die Form des Kopfes war fast 
noch schöner und edler als die der Mutter und der einfache Knoten, 
in welchen das feine, dunkelbraune Haar geschlungen war, hob den 
Adel dieser Form mehr, als es irgend eine gekünstelte Frisur getan 
haben würde. Das Gesicht war nicht regelmäßig schön, obwohl 
äußerst lieblich, und das Profil außerordentlich weich und delikat, 
besonders die Stirn und die Linien des Kinns und des unübertrefflich 
reizend geschnittenen kleinen Mundes. 
Der Offizier von unserm Regiment, welchen ich im Hause abge 
löst hatte, war einer der rohesten Burschen, die ich jemals kennen 
gelernt, und eben nicht geeignet, im Auslande als ein Muster eines 
preußischen Leutnants präsentiert zu werden. Er war gegen Ende 
des französischen Krieges Feldwebel oder Unteroffizier in irgend 
einem andern Kontingent gewesen und dann in unsere Armee ge 
treten, wo er -zwar den Namen eines Offiziers erhielt, allein die 
Manieren eines Korporals nicht ablegen konnte. Gegen diesen 
Menschen vorteilhaft abzustechen, war eben kein großes Verdienst. 
Die Familie meines Wirtes fand Gefallen an mir und die älteste 
Tochter verlor ihr Vorurteil gegen Offiziere, wenigstens ließ sie mich, 
ungerechter Weise, als eine seltene Ausnahme gelten. 
Der Vater war, wie gesagt, ein Italiener, und es herrschte in 
seinem Hause durchweg mehr italienische Sitte in Bezug auf die 
Freiheit des Umgangs, Die Töchter verkehrten viel und ungeniert 
mit jungen Männern, die bei der außerordentlich großen Gastfreund 
schaft in diesem Hause häufig in demselben zu finden waren. Die 
Manieren der Töchter wichen dadurch bedeutend von denen gewöhn 
licher deutscher Bürgermädchen ab; sie waren frei und ungezwungen
	        
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