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Leutnants-Leben
und rief: „Was ein Leutnant!" Nicht lange darauf brachte sie die
Nachricht, Herr Müller habe gesagt, er wolle sich mit mir schießen,
und als sie darüber lamentierte, gab ich ihr das Versprechen, ich
wolle ihren Liebling ganz zart verwunden, worauf sie wieder die
Hände zusammenschlug und rief; „Was ein. Leutnant!“ Wie die Groß
mutter hieß, wußten nur wenige Leute; jedermann nannte sic die
„Großmutter“. Ein Brief mit dieser Adresse wäre ganz sicher in ihre
Hände gekommen, denn sie war Allerwelts Großmutter. Der alte
Pult der Großmutter war ein höchst merkwürdiger Pult und schien
aus einem Feenmärchen nach Rödelheim versetzt zu sein. Was er
eigentlich enthielt, wußte niemand, allein daß er alles enthielt, was
irgend jemand brauchte, das wußte jedermann, Wer etwas wollte,
ging zur Großmutter, und als ich sie einst lachend bat, mir ein Reit
pferd daraus hervor zu holen, würde es niemand im Hause besonders
in Erstaunen gesetzt haben, wenn sie es getan hätte.
Seit der Reisende des Hauses ihre älteste Enkelin heiraten
sollte, war er ein Gegenstand des allergrößten Interesses für die
Großmutter; allein ich hatte ebenfalls ihren Beifall, und sie bedauerte
innerlich, daß wir nicht alle beide zugleich Helene heiraten könnten.
Mit dieser Heirat sah es meinerseits zwar noch sehr windig aus,
denn ich hatte nichts als meinen Leutnantsgehalt, allein wenn man
zwanzig Jahre alt und verliebt ist, verschwinden alle Hindernisse wie
Nebel, wenigstens in Gedanken. Die Hauptsache schien mir nun, dem
alten Papa meine Absichten beizubringen und seine Einwilligung zu
gewinnen. Obgleich ich eine ziemlich gute Meinung von mir selbst
hatte, so sind die Papas der Geliebten doch stets Personen, die man
mit einiger Besorgnis betrachtet, so lange man weiß, daß sie von
unsern Absichten auf ihr Reisch und Blut noch gar keine Ahnung
haben, und mit dem „alten groben Cardini“ war überdies noch ins
besondere gar nicht zu spaßen. Als es Abend wurde und er in seinem
Kontor allein war, dachte ich ihn zu überfallen. In dies Kontor
zog er sich zurück, wenn es irgendwie im Hause stürmte oder seine
Frau einen andern Willen hatte als den seinigen, wie das bei alten
Männern, die junge schöne Frauen haben, oft vorkommt. In solchen
Fällen pflegte er einen Rosenkranz oder zu seinem Schutzpatron zu
beten und dann siegesgewiß hervorzukommen und die rebellische
Frau zu fragen: ob sie nun sich anders besonnen habe?
Weiß Gott, es war ein schwerer Gang zu ihm ins Kontor,
allein das Resultat war besser, als ich erwarten konnte. Das Glück
wollte, daß mein Nebenbuhler in seiner Verliebtheit und, beunruhigt
durch die Nachricht von der Einquartierung eines jungen Offiziers,
seine Reise so schlecht wie möglich gemacht und verschiedene Böcke
geschossen hatte, welche den Alten böse machten. Ueberdies gab
die Liebe mir Beredsamkeit, und da meine Zunge die entgegen
stehenden Schwierigkeiten hinwegräumte, so war das Resultat der