Full text: Ein Leben voller Abenteuer (1)

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Schriftsteller-Leben 
Herren und selbst errötende Damen grüßten. An der Table d’höte 
nahm ich aus Versehen den Platz eines Abonnenten ein; als ich es 
bemerkte und das Versehen verbessern wollte, drang man mit eifrig 
ster Artigkeit in mich, den Platz doch ja zu behalten, so daß es unhöf 
lich gewesen wäre, abzulehnen. Nach der Suppe fand der mir 
gegenübersitzende Herr für nötig, mir zu versichern, daß ich ganz 
außerordentlich wohl aussehe, was von mehreren anderen Herren 
mit grinsendem und kopfwackelndem Empressement bestätigt wurde. 
Meiner Versicherung, daß ich immer so ausgesehen habe, v/idersprach 
man höflich und behauptete, daß ich bei weitem nicht so wohl aus- 
gesehen, als ich das letztemal in Leipzig gewesen. Man nahm es für 
einen Scherz, als ich versicherte, daß ich zum erstenmal hier sei, und 
behauptete, mich lange zu kennen. Ich sah nun wohl, daß man mich 
für jemand anders hielt; allein es war mir erst nach den ernstlichsten 
Versicherungen möglich, meinen Namen zu erfahren. Ich hörte mit 
Erstaunen, daß ich der bekannte Schauspieler Emil Devrient sei. 
Endlich fand man, daß derselbe etwas älter sei als ich, auch helleres 
Haar habe, daß wir aber sonst die erstaunlichste Aehnlichkeit, selbst 
in der Stimme hätten. Noch fünfundzwanzig Jahre später wurde diese 
Aehnlichkeit bemerkt, die ich übrigens nicht so auffallend finden 
konnte. 
Da ich nicht einen xMenschen in Leipzig kannte, so langweilte 
ich mich entsetzlich, und immer wollte der Oberst noch nicht kommen. 
Ich hatte so lange geschwankt, ob ich nicht lieber abreisen solle, bis 
mir dies unmöglich wurde. Mein bescheidener Geldvorrat war so 
geschmolzen, daß er nicht mehr hinreichte, meine Rechnung zu be 
zahlen. Das war keine kleine Verlegenheit; der Oberst konnte noch 
lange ausbleiben und ein Brief reiste damals wenigstens vier bis 
fünf Tage, Ich entschloß mich also, dem Wirt meine Lage zu eröffnen 
und tat dies in einem Briefe, in welchem ich ihn bat, meinen Koffer 
als Pfand zu behalten und mich abreisen zu lassen. Der Wirt kam, 
den Hut auf dem Kopf, in mein Zimmer, pflanzte sich breit auf das 
Sofa und sagte: „Na, das ist ja eine schöne Geschichte." Er sprach 
mit äußerster Verachtung von zurückgelassenen Koffern und ver 
sicherte, daß er eine ganze Sammlung von solchen habe, die niemals 
eingelöst worden seien. Als ich ihm sagte, daß der meinige alle meine 
Briefe und Papiere enthalte, die ich gewiß nicht im Stich lassen 
würde,»lachte er hell auf und versicherte, daß er in diesen unerlösten 
Koffern ganze Riese kostbarer Dokumente besitze. Ich dachte nun 
meinen höchsten Trumpf auszuspielen und gab ihm feierlich mein 
Ehrenwort, daß ich ihm das Geld sogleich schicken würde; allein er 
lachte noch lauter und gab mir sein Ehrenwort, daß er noch mehr 
uneingelöste Ehrenwörier als Koffer habe und daß er die letztem, 
selbst wenn sic leer wären, vorzöge. Ich war außer mir vor Scham 
und Wut über das Benehmen des Wirtes, der mir ein Scheusal schien.
	        
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