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Das elterliche Haus
erfunden. Trotzdem sah der Vater ein, daß ein wenig mehr Kenntnisse,
als er besaß, seinen Kindern wohl gut sein möchten, und er gab sich
Mühe, uns lernen zu lassen, was eben in Gumbinnen zu haben war.
Was wir mit dem Griechischen und Lateinischen, worauf die
Pädagogen bestanden, anfangen sollten, sah er nicht ein, da wir dazu
bestimmt waren, preußische Offiziere zu werden, wie sich das ganz
von selbst verstand; allein wich er auch in diesem Punkt von den
Ansichten der ,,Federfuchser" ab, obwohl er sich fügte, so war er
doch in einem anderen wesentlichen Punkte mit ihnen auf das
eifrigste einverstanden, nämlich daß Knaben ohne Prügel nicht zu
erziehen seien. In jener Zeit war das noch ein pädagogischer Glaubens
artikel, und es setzte in den Schulen Hiebe, ,,daß das Fell rauchte“.
Mein Vater half den Schulübungen durch gründliche Privat
repetitionen nach.
Als Fundament der ganzen Erziehung galt meinem Vater der
Gehorsam; denn wer einmal ordentlich befehlen wolle, sagte er, müsse
erst ordentlich zu gehorchen verstehen, und es ist viel praktische
Weisheit in diesem Satze, Uns den Gehorsam einzubleuen, war daher
seine Hauptsorge und eine Widerspenstigkeit gegen ihn wurde als
das entsetzlichste Verbrechen im ganzen Reiche der Natur betrachtet.
Ueberhaupt schätzte er den negativen Wert aller Fehler, welche wir
begingen, nach dem Maß, als sie auf i h n Bezug hatten. Ueber einen
dummen Streich, den wir einem anderen spielten, oder selbst
über eine geschickte Lüge konnte er lachen und sich sogar etwas
darauf zugute tun; allein wehe uns, wenn wir unsere Geschicklichkeit
an ihm versuchen wollten!
Das Züchtigungsinstrument war ein Hundekantschu, dessen Griff
ein Rehlauf war; ein sehr nützliches und brauchbares Instrument,
wenn ein Geist, der sich zu beherrschen weiß, die schlagende Hand
regiert; allein leider war mein Vater jähzornig und erhitzte sich im
Schlagen immer mehr. Ich habe ein paarmal unter seinen Schlägen
die Besinnung verloren, und mein ältester Bruder verdankte seine
Schwächlichkeit wahrscheinlich einer entsetzlichen, barbarischen
Züchtigung.
Diesen Jähzorn, der überhaupt ein Familienfehler ist, erbte ich
von meinem Vater und hatte viel davon zu leiden. Einst als der Vater
nicht zu Hause war, ärgerte mich mein Bruder Louis; ich warf sogleich
über den Tisch hinweg ein Messer nach ihm, wofür er mich in ein
finsteres Zimmer sperrte und erst heraus ließ, nachdem ich die Tür
dermaßen mit den Füßen bearbeitet hatte, daß sie in der Mitte
platzte. Am anderen Morgen, als ich noch im Bett lag — o Schrecken!
— rief mich mein Vater zu sich. Er langte hinter sich vom Sofa eine
ungeheure Rute hervor, legte mich über das Knie und — kurz, ich
konnte drei Tage nicht ordentlich sitzen. Ein andermal, als ich mit