Das Zuchthaus
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äußert sich tragisch selbst in den Gedanken, und die leichte Art, mit
welcher der Doktor bei mir auftrat, verletzte mein Gefühl und seine
vertrauliche Weise meinen Stolz, der nie argwöhnischer ist als in der
Erniedrigung. Vor mir stehend, behielt er die Mütze auf dem Kopf,
während ich unbedeckt war; das betrachtete ich in „meinem Zimmer“
als eine Geringschätzung, obwohl es nur Gebrauch im Hause war.
Der Direktor sowohl wie der Geistliche behielten indessen niemals
den Hut auf. Sehr verletzend ist es auch, wenn jemand das Unglück,
von dem man niedergedrückt wird, als eine Kleinigkeit darstellt und
geringschätzig behandelt.
Mein Aufseher verstand meine Stimmung besser; es war eine
freundliche Rücksicht des Direktors, daß er mich zu diesem Aufseher
gab, welcher der beste und geachtetste im Hause war. Er war Ober
feldwebel gewesen und hatte den Aufseherposten nur angenommen,
um für den Augenblick ein Unterkommen zu haben, und weil ihm die
Stelle als Oberaufseher versprochen war, die voraussichtlich bald
erledigt werden mußte. Als der Mann in meine Zelle trat, war er bis
zu Tränen bewegt und konnte kaum reden, und als er mir Unterricht
im Spinnen an einem kleinen gewöhnlichen Spinnrocken erteilte,
färbte die Scham, welche andere Leute hätten empfinden sollen, seine
Wange. Ja, ich mußte spinnen. Der Faden, den ich produzierte, war
nicht eben fein, allein er war stark genug, dem Wunsche zu genügen,
den ich hineindrehte.
Am Tage nach meiner Ankunft im Zellengefängnis wurde ich
in das Zimmer des Oberaufsehers beschieden; ich fand hier meine
Mütter, meine Frau und noch eine Dame, die ich nicht kannte; es
war meine Schwester, die ich seit siebenundzwanzig Jahren nicht ge
sehen, die ich als junge Mutter verlassen hatte und die unterdessen
längst Großmutter geworden war. Sie kam von der russischen Grenze,
wo sie wohnte, um mich im Zuchthaus zu besuchen. Still weinend
küßte sie meine Hand, während meine stolze Mutter, vor Aufregung
zitternd, mich in ihre Arme schloß. Am meisten rührte mich das
kummervolle Gesicht meiner armen Frau, die mit gefalteten Händen
mich von ferne betrachtete; sie hatte mich noch nicht in der Sklaven
tracht gesehen. Meine Mutter sah ich hier zum letztenmale.
Der Aufsichtsrat, unter welchem das Zellengefängnis stand, war
beinahe aus denselben Personen zusammengesetzt, welche den
politischen Gefangenen im alten Zuchthause mancherlei kleine Ver
günstigungen bewilligt hatten, und der Direktor machte demselben in
Bezug auf mich einige Vorschläge, von denen jedoch nur wenige be
willigt wurden, nämlich: das Tragen eigener wollener Unterkleider,
das Selbstrasieren, der Besitz und das Aufhängen von Porträts und
anderen nicht an sich anstößigen Bildern, der Besitz von Blumen in
Töpfen und Buketts und das Malen in Oel in meinen freien Stunden.