Full text: Ein Leben voller Abenteuer (02)

Das Zuchthaus 
677 
äußert sich tragisch selbst in den Gedanken, und die leichte Art, mit 
welcher der Doktor bei mir auftrat, verletzte mein Gefühl und seine 
vertrauliche Weise meinen Stolz, der nie argwöhnischer ist als in der 
Erniedrigung. Vor mir stehend, behielt er die Mütze auf dem Kopf, 
während ich unbedeckt war; das betrachtete ich in „meinem Zimmer“ 
als eine Geringschätzung, obwohl es nur Gebrauch im Hause war. 
Der Direktor sowohl wie der Geistliche behielten indessen niemals 
den Hut auf. Sehr verletzend ist es auch, wenn jemand das Unglück, 
von dem man niedergedrückt wird, als eine Kleinigkeit darstellt und 
geringschätzig behandelt. 
Mein Aufseher verstand meine Stimmung besser; es war eine 
freundliche Rücksicht des Direktors, daß er mich zu diesem Aufseher 
gab, welcher der beste und geachtetste im Hause war. Er war Ober 
feldwebel gewesen und hatte den Aufseherposten nur angenommen, 
um für den Augenblick ein Unterkommen zu haben, und weil ihm die 
Stelle als Oberaufseher versprochen war, die voraussichtlich bald 
erledigt werden mußte. Als der Mann in meine Zelle trat, war er bis 
zu Tränen bewegt und konnte kaum reden, und als er mir Unterricht 
im Spinnen an einem kleinen gewöhnlichen Spinnrocken erteilte, 
färbte die Scham, welche andere Leute hätten empfinden sollen, seine 
Wange. Ja, ich mußte spinnen. Der Faden, den ich produzierte, war 
nicht eben fein, allein er war stark genug, dem Wunsche zu genügen, 
den ich hineindrehte. 
Am Tage nach meiner Ankunft im Zellengefängnis wurde ich 
in das Zimmer des Oberaufsehers beschieden; ich fand hier meine 
Mütter, meine Frau und noch eine Dame, die ich nicht kannte; es 
war meine Schwester, die ich seit siebenundzwanzig Jahren nicht ge 
sehen, die ich als junge Mutter verlassen hatte und die unterdessen 
längst Großmutter geworden war. Sie kam von der russischen Grenze, 
wo sie wohnte, um mich im Zuchthaus zu besuchen. Still weinend 
küßte sie meine Hand, während meine stolze Mutter, vor Aufregung 
zitternd, mich in ihre Arme schloß. Am meisten rührte mich das 
kummervolle Gesicht meiner armen Frau, die mit gefalteten Händen 
mich von ferne betrachtete; sie hatte mich noch nicht in der Sklaven 
tracht gesehen. Meine Mutter sah ich hier zum letztenmale. 
Der Aufsichtsrat, unter welchem das Zellengefängnis stand, war 
beinahe aus denselben Personen zusammengesetzt, welche den 
politischen Gefangenen im alten Zuchthause mancherlei kleine Ver 
günstigungen bewilligt hatten, und der Direktor machte demselben in 
Bezug auf mich einige Vorschläge, von denen jedoch nur wenige be 
willigt wurden, nämlich: das Tragen eigener wollener Unterkleider, 
das Selbstrasieren, der Besitz und das Aufhängen von Porträts und 
anderen nicht an sich anstößigen Bildern, der Besitz von Blumen in 
Töpfen und Buketts und das Malen in Oel in meinen freien Stunden.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.