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Amerika
führte durch Georgetown, welcher Ort älter ist als Washington, von
dem es nun eine Vorstadt bildet. Von den Höhen, über welche die
Straße führt, hat man einen reizenden Blick auf den seeartigen
Potomac, der mit Segel- und Dampfschiffen belebt war, und auf die
Landschaft, deren auffallendster und meilenweit sichtbarster Punkt die
weiße Kuppel des herrlichen Kapitols bildet.
Die Straße nach dem siebzehn englische Meilen entfernten Rock-
ville war langweilig, und ich ritt so schnell, als es mir das Wagen
gedränge auf der Straße erlaubte, um nur dem üblen Geruch zu ent
gehen, welchen die an der Seite liegenden, mit Fliegen bedeckten
toten Maultiere verbreiteten. Um halb acht Uhr kam ich in Rockville
an. Mein braver Schimmel sah mit verlangendem Kennerblick in
einen Hof hinein, und da derselbe zu einem Hause gehörte, an
welchem „Union-Hotel" angeschrieben stand, so beschloß ich, dort
einzukehren, denn daß Mac Clellans Hauptquartier nach Frederik
vorgerückt sei, hatte ich bereits erfahren, und da dieser Ort sechs
undzwanzig Meilen von Rockville entfernt war, konnte ich ihn doch
nicht inehr vor der Nacht erreichen.
Der Besitzer des Gasthofes war ein Deutscher. Das kleine Dorf
hotei wimmelte von Sutlern, Fuhrknechten und allerlei Gesindel,
welches einer Armee nachzieht, und an ein Zimmer oder Bett war
nicht zu denken, aber eine hübsche Mulattin machte mir ein Lager
auf dem Sofa im Parier zurecht, auf dessen Fußboden ein Dutzend
Fuhrknechte lagen, die ganze Wolken von Schnaps-, Zwiebel- und
Kautabak-Duft ausschnarchten. Als ich am Morgen ausritt, gesellte
sich ein halb militärisch gekleideter, anständig aussehender Mann zu
mir, der ebenfalls nach Frederik wollte. Es war ein Sutler, der viele
Leute unter sich hatte. Gegen Mittag erreichten wir ein rechts vom
Wege liegendes großes Zelt, welches meinem Reisegefährten gehörte,
und in welchem seine mannigfachen Waren aufgestapelt waren. Ein
schwarzer Diener, der Shakespeare hieß, sorgte für meinen braven
Schimmel, während ich mit meinem gastfreien Wirt eingemachte
Austern und andere gute Dinge frühstückte.
Je näher wir Frederik kamen, desto belebter wurde die Straße,
und überall trafen wir auf ganz frische Spuren der feindlichen Armee.
Die Brücke über den Monocacy-Fluß war abgebrochen und einige
dabei stehende Häuser brannten noch. Der Weg führte über eine
Hügelkette, die zu den Sugar Loaf Mountains (Zuckerhutbergen) ge=
hört, und man hatte eine reizende Aussicht auf die Blue ridges, blauen
Berge, jenseits des Potomac und auf das fruchtbare, herrliche
Maryland.
Es war Sonntag. Die Läden in Frederik waren sämtlich ge
schlossen, und die kleine, sonst so lebhafte und freundliche Stadt sah
trübselig aus. Die Rebellen hatten sie erst am Sonnabend verlassen.
Die Einwohner standen gruppenweise auf den Straßen beisammen;