Amerika
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jeder hatte sein Abenteuer während der Besetzung zu erzählen. Die
Stadt glich gewissermaßen einem Kleefelde, welches die Heuschrecken
verlassen hatten. Trotzdem mein Reisegefährte in dem Gasthofe
„wie das Kind vom Hause“ war, konnten wir doch nichts zu essen
bekommen und nur mit Mühe ein Zimmer mit einem Bette für uns
beide. Wir sollten indessen nicht hungrig schlafen gehen, denn der
Sutler kannte einen wackern Israeliten, einen Kleiderhändler, der
uns gastfreundlich aufnahm. Der Besuch der Rebellen hatte ihm Glück
gebracht, denn sein ganzer Laden war ausverkauft. Freilich hatten
die Rebellen mit südlichem Papiergeld bezahlt, welches selbst in
Dixie nur ein Viertel des Nominalwertes galt, aber unser freundlicher
Wirt, hatte doch nicht nur zehnfache Preise genommen, sondern auch
Mittel gefunden, sein Geld gegen Unionsgeld zu wechseln.
Mit einem fremden Mann in einem Bett zu schlafen, war ich nun
schon gewohnt. Gut, daß amerikanische Betten breiter sind als
deutsche. Was mich immer in Erstaunen setzte, war die Sorglosigkeit
der Amerikaner gegen die Gefahr des Diebstahls. Trotzdem es
Krieg war und allerlei Gesindel der Armee folgte, und mein Schlaf
kamerad eine dickgefüllte Geldtasche hatte, fiel es ihm gar nicht
ein, die Tür zu schließen. Er lachte mich aus, als ich es tat. Während
der ganzen Nacht rollten Armeewagen durch die Straßen. Allerlei
Gerüchte schwirrten durch die Stadt. Wir hatten am Abend fernen
Kanonendonner gehört; es hieß, Mac Clellan habe eine Schlacht ge
schlagen und die Konföderierten zurückgetrieben.
Der Sutler blieb in Frederik zurück, und ich ritt am anderen
Morgen allein der Armee nach. Auf der Straße hörte ich plötzlich
meinen Namen rufen. Ich sah auf und erblickte General Max Weber,
der am Wege hielt. Er war mit seiner Brigade zu Mac Clellans Armee
beordert, und ich schloß mich ihm an. Es war am Tage zuvor eine
Schlacht in den South Mountains geschlagen worden, wo die Kon
föderierten einige Pässe mit Hartnäckigkeit verteidigt hatten. Wir
begegneten auf der Straße einer Menge von Ambulanzen mit Ver
wundeten, und auch einer, welche die Leiche des Unionsgenerals Reno
enthielt, der in der Schlacht gefallen war.
Schon tags zuvor hatte ich mit äußerstem Mißfallen die Masse
von Marodeurs bemerkt, welche truppweise der Armee nach
bummelten, sich rechts und links von der Straße ausbreiteten und
die dort liegenden Farmen brandschatzten. Ihre Zahl war außer
ordentlich groß und wurde auf wenigstens 20 000 Mann geschätzt.
Diese Desorganisation war noch eine Folge der zweiten Schlacht bei
Bull Run. Eine Armee-Gendarmerie wäre da sehr am Platze gewesen.
Das Gedränge auf der Gebirgsstraße wurde so groß, daß Weber
seine Brigade Halt machen lassen mußte. Der General und ich ritten
voraus, um Nachrichten über Mac Clellans Hauptquartier einzuziehen,
da Weber von ihm Instruktionen erwartete, wohin er mit seinen