Full text: Der kleine Lord

Dann gab ihm sein kleines zärtliches Herz plötzlich ein, 
beide Aermchen um den Hals der Mutter zu schlingen und 
sie wieder und wieder zu küssen und seine weiche, warme 
Wange sest an die ihrige zu schmiegen, und sie drückte 
ihr Gesicht an seine Schulter und hielt ihn umschlungen, 
als ob sie ihn nie mehr von sich lassen wollte, und weinte 
bitterlich. 
„Ja, ihm ist wohl," schluchzte sie; „ihm ist ganz, ganz 
wohl, aber wir — wir haben nichts mehr auf der Welt als 
einander. Keine Menschenseele sonst." 
So klein er war, hatte er doch begriffen, daß sein großer, 
schöner, junger Papa nicht mehr wiederkommen werde, daß er 
tot sei, wie er es von andern Leuten auch schon hatte sagen 
hören, obwohl er nicht recht wußte, was das für ein selt 
sames Ding war, das so viel Herzeleid in seinem Gefolge 
hatte, und weil sein Mütterchen immer weinte, wenn er von 
dem Papa sprach, kam er ganz in aller Stille auf den Ge 
danken, daß es besser sei, nicht von ihm zu sprechen, und 
allmählich fand er auch, daß es besser fet, sie nicht ganz 
ruhig dasitzen und zum Fenster hinaus oder ins Feuer- 
starren zu lassen. Bekamrte hatten er und seine Mama nicht 
viele, und man konnte ihr Leben sehr einsam nennen, obgleich 
Cedrik davon keine Ahnung hatte, bis er älter wurde - und 
man ihm dann sagte, weshalb sie keine Besuche erhielten. Er 
erfuhr dann, daß seine Mama eine Waise war und ganz allein 
in der Welt gestanden hatte, ehe sie Papas Frau geworden. 
Sie war sehr hübsch und hatte als Gesellschafterin bei einer- 
reichen alten Frau gelebt, die nicht gütig gegen sie gewesen 
war. Eines Tages hatte Kapitän Cedrik Errol, der Besuch 
bei der Dame machte, sie die Treppe hinaufeilen sehen mit 
schweren dicken Thränentropfen an den langen Wimpern, und 
dabei hatte sie so unschuldig und traurig und wunderlieblich 
ausgesehen, daß der Kapitän es nicht mehr hatte vergessen 
können. Dann waren mancherlei merkwürdige Dinge ge 
schehen, sie hatten einander kennen gelernt und hatten sich 
sehr lieb und wurden schließlich Mann und Frau, obwohl 
diese Heirat ihnen die Mißbilligung verschiedener Personen 
zuzog. Am meisten erzürnt darüber war der Vater des 
Kapitäns, der in England lebte und ein sehr reicher und 
vornehmer Herr von leidenschaftlicher Gemütsart und einer- 
heftigen Voreingenommenheit gegen Amerika und die Ameri- 
kaner war. Kapitän Cedrik war der dritte Sohn und hatte
	        
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