Full text: Der kleine Lord

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also für sein Teil wenig Aussichten aus die äußerst bedeu 
tenden Güter und Titel seines Hauses. 
Die Natur verteilt ihre Güter jedoch nicht nach deni 
Erstgeburtsrecht, und es kommt vor, daß dritte Söhne Dinge 
besitzen, die den beiden älteren versagt sind. Cedrik Errol 
hatte ein hübsches Gesicht, eine kräftige, schlanke, elastische 
Gestalt, ein helles Lachen und eine weiche, fröhliche Stimme; 
er war tapfer, freimütig und hatte das beste Herz von der 
Welt, und es war, als ob ihm ein Zauber verliehen sei, der 
alle Menschen zu ihm zog und an ihn fesselte. Bei seinen 
älteren Brüdern war dem nicht so; der eine wie der andre 
war weder hübsch noch begabt, noch gutherzig. Als Knaben 
in der Schule zu Eton machten sie sich sehr unbeliebt; ans 
der Universität betrieben sie keinerlei Studien, vergeudeten 
Zeit und Geld und gewannen wenig Freunde. Was der 
Vater an ihnen erlebte, waren Enttäuschungen und Demüti 
gungen; der Erbe seines edlen Namens machte demselben 
keine Ehre und versprach, nichts zu werden, als ein selbstischer, 
verschwenderischer, unbedeutender Mensch ohne jegliche ritter 
liche Tugend. Es war sehr bitter für den alten Herrn, daß 
der Sohn, welcher die unbedeutende Stellung des Jüngsten 
einnahm und nur ein sehr mäßiges Vermögen erhalten konnte, 
alles besaß, was an Talent, Liebenswürdigkeit, Kraft und 
äußerer Erscheinung in seiner Familie zu entdecken war. 
Zuweilen haßte er den frischen jungen Gesellen beinahe, 
der sich unterfing, all' die guten Dinge zu besitzen, die doch 
mit Fug und Recht zu dem großen Titel und dem herrlichen 
Besitztum gehört hätten, und doch hing sein stolzes, eigen 
williges altes Herz insgeheim unendlich an seinem Jüngsten. 
In einem derartigen Anfall von Gereiztheit war's, daß er 
ihn ans eine Reise nach Amerika geschickt hatte; Cedrik sollte 
ihm eine Zeitlang aus den Augen kommen, damit er nicht 
durch den immerwährenden Vergleich sich über das Treiben 
der beiden Aeltesten, die ihm gerade damals wieder viel zu 
schassen machten, noch mehr aufzuregen brauchte. 
Aber kaum war der Sohn ein halbes Jahr fort, als der 
alte Herr Sehnsucht nach ihm empfand und ihm den Befehl 
zur Heimkehr sandte. Dieser Brief kreuzte sich mit einem 
des jungen Mannes, in dem dieser dem Vater von seiner 
Liebe zu der hübschen Amerikanerin und seiner Absicht, die 
selbe zu heiraten, sprach, was den Grafen in fürchterliche 
Wut versetzte. Wie entsetzlich seine Zornesausbrttche auch
	        
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