Full text: Der kleine Lord

25 
seine Mutter nicht unter einem Dache mit ihm wohnen würde, 
wußte er nicht; Mrs. Erröt hielt es für besser, ihm diese 
Schreckenskunde vorläufig zu ersparen. 
Mr. Havisham saß in einem Lehnstuhle am offnen 
Fenster, dem gegenüber stand ein noch größerer, in welchem 
Cedrik saß und Mr. Havisham unverwandt anblickte. Er 
hatte sich ganz zurück gesetzt in dem für sein kleines Gestält- 
chen ungeheuren Fauteuil, das lockige Köpfchen schmiegte sich 
in die Kissen, die Beine waren übereinander gelegt, die Hände 
steckten wieder tief in den Taschen und die ganze Haltung 
war entschieden frei nach Mr. Hobbs. Schon als seine Mama 
noch im Zimmer gewesen war, hatte er Mr. Havisham sehr 
genau beobachtet, und nachdem sie hinausgegangen war, fuhr 
er fort, ihn mit einer Art von Andacht anzublicken; ein 
Schweigen entstand, und der alte Herr und der kleine Junge 
schienen sich mit gegenseitigem Interesse zu studieren. Was 
er jedoch mit einem Jungen, der Rennen gewann, Pump 
höschen trug und dessen rotbestrumpftc Beine nicht über den 
Stuhlsitz herunterreichten, sprechen sollte, darüber kam Mr. 
Havisham nicht so leicht mit sich ins reine, bis Cedrik ihm 
plötzlich aus der Verlegenheit half, indem er die Konver 
sation eröffnete. 
„Ich weiß gar nicht, was ein Graf ist," bemerkte er 
ernsthaft. 
„Wirklich nicht?" erwiderte Mr. Havisham. 
„Nein, und wenn man einmal einer werden muß, sollte 
man das doch wissen, meinen Sie nicht auch?" 
„Allerdings — gewiß," gab Mr. Havisham zur Antwort. 
„Würden Sie nicht so gut sein und mir das auseinander 
setzen?" bat Ceddie sehr respektvoll, wobei er nur einige Silben 
verschluckte, was ihm bei den beliebten langen Wörtern des 
öftern vorkam. „Wer hat ihn denn zu einem Grafen ge 
macht ?" 
„In erster Linie ein König oder eine Königin," sagte 
Mr. Havisham. „Gewöhnlich erhält er den Titel zur Be 
lohnung für irgend einen bedeutenden Dienst, den er seinem 
Landesherrn leistet, oder sonst eine große That." 
„O!" sagte Cedrik. „Das ist also wie der Präsident." 
„Meinst du?" 
„Ja gewiß," versicherte Ceddie freudig. „Wenn jemand 
sehr gut ist und sehr viel weiß, dann wird er Präsident. 
Dann gibt es einen Fackelzug und Musik und viele Reden.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.