Full text: Der kleine Lord

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sie verstand wohl, wie der jungen Frau zu Mute sein mußte, 
die ihre Heimat verlassen hatte und nun ihr Kind hergeben 
sollte. 
Die englischen Dienstboten beobachteten Mutter und Sohn 
mit großer Neugierde. Alle möglichen Gerüchte waren natür 
lich über die beiden im Umlauf; jedermann wußte, weshalb 
Mrs. Errol hier wohnen mußte, und der kleine Lord im Schlosse, 
jedermann wußte genau, welch ungeheures Vermögen seiner 
harrte und was für ein jähzorniger Großvater mit Gicht 
anfällen und bösen Lauiicii. 
„Leicht kriegt er's nicht, der arme kleine Kerl!" Das 
hatten sie längst untereinander ausgemacht. 
Was es aber für eine Art von Kind war, dieser Lord 
Fauntleroy, das wußten sie nicht, und das Wesen des künf 
tigen Herrn von Dorincourt war für sie eben nicht leicht 
verständlich. Er zog sehr selbständig seinen kleinen Ueberrock 
aus, gerade, als ob er gewöhnt wäre, sich selbst zu bedienen, 
und dann sah er sich um in der weiten Halle, betrachtete die 
Bilder und die Hirschgeweihe und alle möglichen Dinge, die 
ihm sehr merkwürdig vorkamen, weil er noch nichts derartiges 
gesehen hatte. 
„Herzlieb," rief er, „das ist ja ein goldiges Haus, nicht 
wahr? Ich bin so froh, daß du da wohnst! Und ein ganz 
großes Haus ist es!" 
Freilich war es groß im Vergleiche mit dem engbrüstigen 
Gebäude in der ärmlichen New Aorker Straße, und hübsch 
und freundlich war es auch. Mary führte die Ankömmlinge 
hinauf in ein helles, ganz mit buntem Kattun tapeziertes 
und ausgestattetes Schlafzimmer, wo ein fröhliches Feuer 
brannte und eine riesengroße, schneeweiße Angorakatze behag 
lich hingestreckt auf dem Teppich vor dem Kamine lag. 
„Die Haushälterin vom Schlosse schickt sic," erklärte Mary. 
„Die ist eine brave Dame und hat überall nach dem Rechten 
gesehen und alles eingerichtet. Ich hab' sie auch schon ge 
sehen, und sie hat den Herrn Kapitän selig arg gern gehabt 
und ist betrübt, daß er tot ist, und dann hat sie gesagt, 's 
könne leicht sein, daß die Katze Ihnen die Stube heimeliger 
macht, wenn sie so faul daliegt. Den Herrn Kapitän selig 
hat sie schon gekannt, wie er rin Kind war, und er sei ein 
schöner Jung' gewesen, sagte sie, und dann ein feiner Herr, 
der auch für geringe Leute ein gutes Wort gehabt hat. Da 
hab' ich zu ihr, gesagt: ,Er hat gerade so einen Sohn zurück
	        
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