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Abhandlung IX. § 1. 2. 3.
andern ebenso physisch, wie moralisch geschieht und
weil diese Uebel sich anscheinend sowohl in dem Reiche
der Natur, wie in dem der Gnade zeigen und ebenso, ja
noch mehr, in dem kommenden und ewigen Leben, als in
dem kurzen hienieden.
2. Um diese Schwierigkeiten kurz darzulegen, be
denke man, dass die Freiheit (anscheinend) mit der Vorher-
bestimmung und Gewissheit sich nicht verträgt, mag diese
Freiheit sein, welcher Art sie wolle; trotzdem soll nach
der gewöhnlichen Lehre unserer Philosophen die Wahrheit
der kommenden zufälligen Ereignisse bestimmt sein. Das
Vorauswissen Gottes macht alles Kommende gewiss und
bestimmt; ja seine Voraussicht und seine Voraus
bestimmung, auf welche das Vorauswissen gegründet
erscheint, thut noch mehr, da Gott nicht gleich dem
Menschen die Ereignisse mit Gleichgültigkeit betrachten
und sein Urtheil anhalten kann, weil alles nur durch die
Beschlüsse seines Willens und die Wirksamkeit seiner
Macht zum Dasein gelangt. Selbst wenn man von einer
Mitwirkung Gottes absieht, so ist doch in der Ordnung
der Natur alles mit einander .verknüpft, indem nichts
ohne eine Ursache, welche die Wirkung bestimmt, ge
schehen kann. Dies gilt ebenso für die freiwilligen
Handlungen, wie für alles andere. Danach erscheint
der Mensch also gezwungen, das Gute und Schlechte zu
thun, was er thut und er verdient deshalb weder Strafe
noch Belohnung. Die ganze Moral und alle menschliche
und göttliche Gerechtigkeit wird dadurch vernichtet.
3. Wollte man aber dem Menschen selbst diese
Freiheit zugestehen, mit der er sich zu seinem Schaden
schmückt, so würde doch das Verhalten Gottes dem
Tadel unterliegen und dieser Tadel durch die anmass-
liche Unwissenheit der Menschen ss ) unterstützt werden,
die sich auf Kosten Gottes ganz oder zum Theil von
der Schuld befreien möchten. Man behauptet, dass die
ganze Realität und sogenannte Substanz der Handlungen,
selbst bei der Sünde, ein Werk Gottes sei, weil alle
Geschöpfe und all ihr Handeln das in diesem enthaltene
Reale von ihm haben. Daraus will man ableiten, dass
er nicht allein die physische Ursache des Uebels sei,
sondern auch die moralische, weil Gott vollkommen frei
handle und alles nur mit vollkommener Kenntniss der