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Abhandlung II. § 4.
Geschlecht angesteckt und in eine Art von Nothwendig-
keit zu sündigen versetzt werden werde, was man die
Erbsünde nennt; dass die Welt dadurch in eine arge
Verwirrung gebracht werden werde; dass dadurch der
Tod und die Krankheiten über sie gebracht werden mit
Tausend anderlei Unglück und Elend, welches regel
mässig die Guten, wie die Schlechten trifft; dass selbst
die Bosheit hienieden herrschen und die Tugend unter
drückt werden werde und dass es damit beinah den
Anschein gewinne, als leite keine Vorsehung die Dinge.
Indess wird es noch schlimmer, wenn man an das zu
künftige Leben denkt, weil es da nur eine kleine Zahl
geretteter Menschen geben wird und alle andern in
Ewigkeit verderben werden; abgesehen davon, dass diese
zum Heil bestimmten Menschen durch eine willkürliche
Auswahl aus der verderbten Masse herausgenommen
worden sind, mag man dabei sagen, dass Gott bei ihrer
Auswahl ihre künftigen guten Handlungen, oder ihren
Glauben oder ihre Werke beachte, oder mag man an
nehmen, dass er ihnen diese guten Eigenschaften und
Handlungen gewährt habe, weil er sie zum Heile im
Voraus bestimmt habe. Denn wenn auch in dem mil
desten System gesagt wird, dass Gott alle Menschen habe
erretten wollen, und wenn man auch in den andern, ge
wöhnlich angenommenen, Systemen anerkennt, dass er
seinen Sohn die menschliche Natur habe annehmen
lassen, um deren Sünden abzubüssen, so dass alle, die an
ihn glauben, lebendig und schliesslich gerettet sein
werden, so bleibt doch immer wahr, dass dieser lebendige
Glaube ein Geschenk Gottes ist, dass wir für alle guten
Werke todt sind, dass eine vorhergehende Gnade selbst
bis zu unserem Willen den Antrieb giebt und dass Gott
uns das Wollen und das Vollbringen giebt. Mag nun
dies durch eine wirksame Gnade allein geschehen, d. h.
durch eine innere göttliche Bewegung, welche unsern
Willen vollständig zu dem Guten, was wir thun, be
stimmt; oder mag es nur eine hinreichende Gnade sein,
die aber doch stets antreibt und die durch die innern und
äussern Umstände wirksam wird, in denen der Mensch
sich befindet oder in die Gott ihn versetzt hat, so muss
man immer darauf zurückkommen, dass Gott der letzte
.Grund des Heils, der Gnade, des Glaubens und der Er-