106
Abhandlung II. §11.12.13.
bestanden haben. Deshalb dürfen wir aber nicht Freude
an der Sünde haben; möge Gott dies verhüten, sondern
wir haben demselben Apostel zu glauben, welcher sagt
(Römer V. 20), dass, wo die Sünde im Uebermaass ist,
die Gnade noch in höherem Maass gewesen ist und wir
erinnern uns, dass wir Jesum Christum selbst in Folge der
Sünde erlangt haben. Diese Prälaten wollen also nur
festhalten, dass eine Folgeweise der Dinge, in welcher
auch die Sünde eintritt, hat besser sein können und
wirklich besser gewesen sei, als eine Folgeweise ohne
Sünde. 43 )
12. Man hat von jeher Vergleiche benutzt, die, vom
sinnlichen Vergnügen hergenommen, mit Empfindungen
gemischt sind, welche sich dem Schmerze nähern, um
erkennen zu lassen, dass es etwas ähnliches auch bei dem
geistigen Vergnügen giebt. Ein wenig Scharfes, Herbes
oder Bitteres schmeckt oft angenehmer, als Zucker; die
Schatten heben die Farben und selbst eine Dissonanz
an der rechten Stelle, lässt die Harmonie mehr hervor
treten. Man verlangt nach dem Schrecken, welchen
Seiltänzer veranlassen, die im Begriff zu fallen sind und
man will, dass die Trauerspiele uns bis zu Thränen
rühren. Geniesst man wohl die Gesundheit genug und
dankt man Gott genug dafür, wenn man niemals krank
gewesen ist? Und bedarf es nicht meistentheils ein
wenig des Schmerzes, um die Lust mehr zu empfinden,
d. h. grösser zu machen?
13. Man wird indess sagen, dass die vorhandenen
Uebel schwer und in grosser Menge im Vergleich zu
den Gütern bestehen; allein man irrt. Nur der Mangel
an Aufmerksamkeit vermindert unsere Güter und es
bedarf einer Mischung mit einigem Schmerze, damit wir
zu dieser Aufmerksamkeit gelangen. Wären wir in der
Regel krank und selten gesund, so würden wir dieses
grosse Gut wunderbar schätzen und unser Uebel weniger
empfinden und ist es trotzdem nicht besser, dass die Ge
sundheit die Regel ist und die Krankheit selten? Wir
haben daher durch unser Denken das zu ergänzen, was
unserm Empfinden abgeht, um das Gut der Gesundheit
voller zu fühlen. Hätten wir keine Kenntniss von dem
zukünftigen Leben, so würden sich* wenig Personen
finden, welche nicht bei dem Nahen des Todes gern das