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Abhandlung II. § 104. 105.
Gegenstand derselben, d. h. die Natur des Menschen be
achtet werden muss, allein diese Wahl dürfte wohl keinen
für uns begreiflichen oder unserm Stolze schmeichelnden
Kegeln unterliegen. Einige berühmte Theologen meinen,
dass Gott denen, von welchen er voraussieht, dass sie
weniger Widerstand leisten werden, mehr Gnade oder in
eine günstigere Weise gewähre und dass er die übrigen
ihrem Eigenwillen überlasse. Es mag sich wohl so ver
halten und diese Aushülfe entfernt sich unter denen,
wonach der Mensch sich selbst durch das Vortheilhafte
in seinem Naturell auszeichnet, am meisten von der Lehre
des Pelagius. 85 ) Indess möchte ich aus ihr keine all
gemeine Regel machen, und zuletzt ist wohl, damit wir
nicht Grund haben uns zu rühmen, nöthig, dass die
Gründe für die Auswahl Gottes uns unbekannt bleiben.
Sie sind auch zu mannigfaltig, um von uns gekannt zu
sein und möglicherweise zeigt Gott mitunter die Macht
seiner Gnade dadurch, dass sie den hartnäckigsten
Widerstand überwindet, damit Niemand zu verzweifeln,
aber auch Niemand sich zu überschätzen brauche. Der
heilige Paulus scheint diesen Gedanken gehabt zu haben,
indem er sich selbst in dieser Rücksicht als Beispiel hin
stellt. Gott, sagte er, hat sich meiner erbarmt, um ein
grosses Beispiel von seiner Geduld zu geben.
105. Vielleicht sind alle Menschen im Grunde gleich
schlecht und sie können sich deshalb durch ihr gutes oder
weniger schlechtes Naturell von einander nicht unterscheiden;
aber sie sind nicht alle in gleicher Weise schlecht, da
zwischen den Seelen, wie die vorherbestimmte Harmonie
ergiebt, eine ursprüngliche individuelle Verschiedenheit
besteht. Die einen neigen mehr oder weniger zu einem
bestimmten Gut oder zu einem bestimmten Uebel, oder
zu deren Gegentbeilen, alles nach ihren natürlichen Zu
ständen; aber der allgemeine Plan für das Universum,
welchen Gott aus höhern Gründen gewählt hat, macht,
dass die Menschen sich in verschiedenen Umständen be
finden und dass die, welche die für ihr Naturell günstig
sten treffen, in leichterer Weise, weniger schlecht, und
die tugendhaftesten und glücklichsten werden; jedoch
immer durch den Beistand der Eindrücke der inneren
Gnade, welche Gott damit verbindet. Manchmal gelingt
dies im Laufe des menschlichen Lebens selbst einem