Abhandlung II. § 118.
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„Kennzeichen des Wissens, der Geschicklichkeit, der
„Macht und Grösse, welche in seinem Werke hervor-
„treten zum Glück der vernünftigen Geschöpfe bestimmt.
„Er hat gewollt, dass die Menschen seine Vollkommen
heiten nur deshalb kennen lernen, damit diese Art von
„Geschöpfen ihr Glück in der Erkenntniss, Bewunderung
„und Liebe des höchsten Wesens fänden.“
Dieser Satz scheint mir nicht bestimmt genug. Ich
gebe zu, dass das Glück der vernünftigen Geschöpfe den
Haupttheil in den Absichten Gottes bildet, da sie ihm
am meisten ähneln, aber ich sehe nicht ein, wie man
zeigen will, dass dies sein einziges Ziel gewesen sei.
Das Beich der Natur muss allerdings dem Reiche der
Gnade dienen; allein in dem grossen Plane Gottes ist
alles mit einander verknüpft und deshalb wird auch das
Reich der Gnade in gewisser Weise dem Reiche der
Natur angepasst sein, so dass dieses die möglichste
Ordnung und Schönheit sich erhält, um die Verbindung
beider zu der möglichst vollkommensten zu machen.
Man kann deshalb nicht annehmen, dass Gott um einiger
moralischen Uebel willen die ganze Ordnung der Natur
umstosse. Jede Vollkommenheit und jede Unvollkommen
heit in den Geschöpfen hat ihren Preis, aber nichts hat
einen unendlichen Preis. Deshalb übersteigt das rnora- ]
lische und physische Gute und Uebel der vernünftigen
Geschöpfe nicht in unendlicher Weise das blos meta
physische Gute und Uebel, d. h. das, was zur Voll
kommenheit der übrigen Geschöpfe gehört, obgleich dies
doch der Pall sein müsste, wenn der obige Satz in voller
Strenge wahr wäre. Als Gott dem Propheten Jonas er
klärte, weshalb er den Bewohnern von Ninive verziehen
habe, so berührte er selbst die Rücksicht auf die
Thiere, welche bei der Zerstörung dieser grossen Stadt
mit untergegangen sein würden. Nichts ist vor Gott
unbedingt verächtlich oder schätzens werth. Der Miss
brauch oder die übertriebene Ausdehnung des hier vor
liegenden Satzes scheint zum Theil die Schwierigkeiten
veranlasst zu haben, die Herr Bayle hier aufstellt. Es
ist gewiss, dass ein Mensch bei Gott mehr bedeutet, als
ein Löwe, dennoch dürfte es zweifelhaft sein, ob Gott
einen Menschen dem ganzen Löwengeschlecht in jeder
Beziehung voranstellen würde; aber selbst wenn dies der