Full text: Die Theodicee. (4)

Vorrede. 
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verbleibe und dass unser Verhalten darin nicht das 
Mindeste ändern könne. Deshalb sei es das Beste, seinen 
Neigungen zu folgen und nur an das sich zu halten, 
was für die gegenwärtige Zeit uns befriedige. Sie be 
denken die sonderbaren Folgerungen nicht, welche an 
einen solchen Grund sich knüpfen, welcher zu viel be 
weist, weil er z. B. beweisen dürfte, dass man einen 
süssen Trank auch dann trinken solle, wenn man wisse, 
dass er Gift enthalte. Mit demselben -Grunde (wenn er 
ein gültiger wäre) könnte ich auch behaupten, dass wenn 
es in dem Buche der Parzen geschrieben stehe, dass das 
Gift jetzt mich tödten oder mir Schaden zufügen werde, 
dies auch eintreten werde, wenn ich den Trank nicht 
trinke; und dass wenn dies in diesem Buche nicht ge 
schrieben stehe, es auch nicht geschehen werde, selbst 
wenn ich das Gift trinken würde. Mithin könnte ich 
ungestraft meinen Neigungen folgen und das wählen, 
was angenehm ist, wenn es auch noch so schädlich ist. 
Indess sind solche Behauptungen eine offenbare Ver 
kehrtheit. Wenn ein solcher Einwurf jene Leute auch 
ein wenig stutzig macht, so kommen sie doch immer auf 
ihre Reden zurück, welche sie in mancherlei Weise so 
lange hin und her wenden, bis man ihnen den Fehler 
ihres Trugschlusses begreiflich macht. Es ist nämlich 
falsch, dass das Ereigniss eintrete, gleichviel was man 
thue; vielmehr tritt es ein, weil man das thut, was dahin 
führt und wenn das Ereigniss in jenem Buche geschrieben 
steht, so ist auch die Ursache darin verzeichnet, welche 
es eintreten macht. Anstatt dass also die Verknüpfung 
der Wirkungen und Ursachen die Lehre von einer das 
Handeln beschädigenden Nothwendigkeit bestätigte, dient 
sie vielmehr zu deren Widerlegung. h ) 
Aber auch abgesehen von schlechten Absichten und 
unsittlichen Neigungen, kann man auch in anderer Weise 
die bedenklichen Folgen einer solchen Schicksals-Noth 
wendigkeit einsehen, wenn man bedenkt, dass sie die 
Freiheit des Willens auf hebt, welche dem sittlichen 
Handeln so unentbehrlich ist; denn das Gerechte und 
Ungerechte, das Lob und der Tadel, die Strafe und der 
Lohn finden auf nothwendige Handlungen keine An 
wendung und Niemand ist verbunden, das Unmögliche 
zu thun oder das unbedingt Nothwendige nicht zu
	        
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