Full text: Die Theodicee. (4)

282 
Abhandlung II. § 219. 220. 
wäre begründet, wenn es gar keine Tugend gäbe, wenn 
das Laster überall deren Stelle einnähme. Herr Bayle 
wird sagen, es genüge, dass das Laster herrsche und 
dass die Tugend im Vergleich zu ihm nur ein Kleines 
sei. Allein ich hüte mich, ihm dies einzuräumen und ich 
glaube wirklich, dass, richtig aufgefasst, es unvergleich 
lich mehr moralisch Gutes, wie moralisch Schlechtes bei 
den vernünftigen Geschöpfen giebt, von denen wir iiber- 
dem nur eine geringe Zahl kennen. 
220. Auch ist dieses Uebel in den Menschen nicht 
so gross, als man Vorgiebt; es giebt nur Leute von 
bösem Gemütli oder Leute, die durch das Unglück etwas 
Menschenhasser geworden sind, wie der Timon bei 
Lucian, welcher überall nur Schlechtigkeit antraf, und 
welche die besten Handlungen durch die Art, wie sie 
dieselben erklären, vergiften. Ich spreche hier von 
solchen, welche dies ganz ernstlich meinen, um daraus 
schlechte Folgerungen zu ziehen, von welchen deren 
Handlungsweise angesteckt ist; denn Manche thun es 
auch nur um ihren Scharfsinn zu zeigen. Man hat dies 
bei Tacitus getadelt, und dies ist es auch, was Herr 
Descartes (in einem seiner Briefe) gegen das Buch von 
Hobbes de Cive (über den Bürger) einzuwenden hat. 
man hatte damals nur wenige Exemplare davon gedruckt, 
welche an seine Freunde vertheilt werden sollten; die 
zweite Ausgabe, die wir besitzen, ist durch Bemerkungen 
des Verfassers vermehrt worden. Herr Descartes erkennt 
zwar an, dass dieses Buch von einem gescheidten Manne 
herrühre, aber er findet doch darin gefährliche Grund 
sätze und Lehren, weil alle Menschen darin als schlecht 
angenommen werden oder man ihnen einen Grund giebt, 
es zu werden. Der verstorbene Herr Jacob Thoraasius 
sagt in seinen schönen Tafeln der praktischen Philo 
sophie, dass das ttqmtov iptvd'os, der Ursprung der Irr- 
thümer dieses Buches des Herrn Hobbes darin liege, dass 
er den Statum legalem pro naturali (den gesetzlichen 
Zustand für den natürlichen) genommen habe, d. h. dass 
der verdorbene Zustand für ihn als Maass und Regel 
gelte, während der der menschlichen Natur am meisten 
entsprechende Zustand es sei, welchen Aristoteles im 
Auge gehabt habe. Denn nach Aristoteles ist das 
natürlich, was der vollkommenen Natur einer Sache
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.