Abhandlung I. § 4. 5. 6.
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oder moralische Notli wendigkeit zuspricht, die nur das
betrifft, was gewöhnlich eintritt und deshalb sich nur
auf die Wahrscheinlichkeit stützt, die aber, sofern Gott
es für gut findet, auch nicht zutreffen kann.
5. Aus dem Gesagten erhellt, dass die Ausdrücke
Derer mitunter an Verwirrung leiden, welche die Philo
sophie mit der Theologie oder den Glauben mit der
Vernunft in Streit bringen. Sie vermengen das Er
klären, Begreifen, Beweisen, Behaupten mit
einander. Selbst Herr Bayle ist, glaube ich trotz seines
Scharfsinns, nicht immer frei von dieser Verwechselung.
Die Mysterien können so weit erklärt werden, als zum
Glauben an sie nötliig ist, aber man kann sie nicht be
greifen noch verständlich machen, wie sie geschehen.
Selbst in der Naturwissenschaft erklärt man mehrere
wahrnehmbare Eigenschaften nur bis zu einem gewissen
Punkte, aber doch nur in unvollkommener Weise, weil
man sie nicht begreift. Ebensowenig können wir mittelst
der Vernunft die Mysterien erklären, denn alles, was sich
a priori oder durch die reine Vernunft beweisen lässt,
kann begriffen werden. Wenn wir also an die Mysterien
auf Grund der Beweise für die Wahrheit der Religion
glauben (die man Beweggründe des Glaubens
nennt), so bleibt uns nur die Fähigkeit übrig, dass wir
sie gegen die Ein würfe aufrecht erhalten können.
Ohnedem hätte unser Glaube an sie keinen festen Grund;
denn alles, was auf eine ernste und schlussgerechte
Weise widerlegt werden kann, muss falsch sein. Die
Beweise für die Wahrheit der Religion, die nur eine
moralische Gewissheit gewähren können, würden
durch Einwürfe von einer unbedingten Gewissheit auf
gewogen, ja selbst aufgehoben werden, wenn sie über
zeugend und streng beweisend wären. Dies
Wenige könnte mir genügen, um die Schwierigkeiten
bei dem Gebrauch der Vernunft und der Philosophie in
Bezug auf die Religion zu beseitigen, wenn man es nicht
oft mit den Vorurtheilen mancher Personen zu thun hätte.
Da jedoch der Gegenstand wichtig und mehrfach sehr ver
dunkelt worden ist, so dürfte es zweckmässig sein, wenn
ich mehr in Einzelnes eingehe. 6)
6. Die Frage nach der Uebereinstimmung des
Glaubens mit der Vernunft ist von jeher ein grosses