Full text: Das sogenannte Gesetz des Mose (5)

sich dagegen vergeht, wer doch den Tagelöhner druckt und den Schuldner 
quält, — dem haben sie nichts anderes zu bieten als Jahwes Zorn! 
Wer dieser Begründung ins Gesicht lachte, über den hatten sie keine 
Gewalt. Wie anders haben sie ihren priesterlichen Gegnern Rache ge 
schworen, als derselbe Elohist die grausige Phantasie ersann, das; die 
Lewiten im Blute von dreitausend Anhängern des Goldenen Kalbes 
gewatet seien. 
Die einzige soziale Institution, die sie fordern, ist das sogenannte 
Sabbatjahr: die auf der Brache im siebenten Jahre wildwachsende 
Frucht soll den Armen gehören. Aber dieser Vorschlag ist eine absolut 
unrealistische Utopie! Was sollte den Armen die Unterstützung im 
jeweils siebenten Jahre, wenn sie in sechs Jahren längst hatten ver 
hungern können? Und wovon sollten die Besitzenden selbst in diesem 
siebenten Jahre leben? Sie hätten mit den Armen zusammen ver 
hungern müssen! Tatsächlich hat denn auch, wie noch zwei Jahrhunderte 
später bezeugt wird (3. Mose 26, 34) niemals jemand daran gedacht, 
dieses unsinnige Gebot zu erfüllen. Wir werden aber finden, daß 
solche Faulenzerutopien für die Sozialpolitik der Priester eine immer 
wieder lebendige Anziehungskraft hatten. ^ 
Der Elohist hat noch an einer anderen Stelle der Gesetzgebung von 
sozialen Verhältnissen gesprochen; aber da ist er nicht einmal so weit 
gekommen, wie in der Erweiterung der Zehn Gebote. Er hat erzählt, 
daß Mose vierzig Tage und vierzig Nächte bei Jahwe gewesen sei, um 
die „Rechtssatzungen und Weisungen Jahwes" zu lernen, nach denen er 
das Volk richten solle (2. Mose 24, 12—18). Diese „Rechtssatzungeu", 
die dann im Wortlaut mitgeteilt werden, sind offenbar nicht 
vom Elohistcu verfaßt. Er hat sie irgendwoher genommen, 
um zu zeigen, daß sein Mose auch Herr des bürgerlichen 
Gerichtes sei. ■ Sie selbst aber verraten in keinem Worte priesterliche 
Entstehung. Es find Regeln für die Entscheidung schwieriger Fälle, wie 
sie wohl bei allen Kulturvölkern schon frühzeitig niedergeschrieben 
wurden; Weistümer, wie man im germanischen Mittelalter solche Rechts- 
regeln nannte. Sie enthalten einerseits eine Sammlung von Fällen, 
die mit dem Tode bestraft werden sollen, andererseits wesentlich viel 
umfangreichere Rechtsregeln über Sklaven, über imvorsätzlichen Tod- 
schlag, Körperverletzung, Fahrlässigkeit, Diebstahl, Depositum, Ver 
gewaltigung der jungfräulichen Tochter und ähnliches mehr. Sie setzen 
bereits sehr entwickelte Zustände voraus: nicht nur von Hans und Feld 
ist die Rede, sondern auch von -Viehkauf, Verarmung, Tagelöhnern 
und Geldstrafen vor Gericht. Ja, es wird bei Sühnung eines Schadens 
häufiger die Erstattung in Geld als in natura, gefordert. So können 
sie kaum vor dem neunten Jahrhundert vor Christus entstanden sein; 
sie mögen aus der Praxis der Rechtsprechung heraus und für diese 
Praxis geschrieben sein. 
Diese Rechtssatzungen haben an sich keine Spur eines sozialen 
Zuges, d. h. einer milden Rücksicht auf die Armen und Unterdrückten. 
Frau und Tochter sind absolutes Eigentum des Mannes und Vaters, 
der Sklave auch. Wenn der Herr ihn schlägt, daß er nach zwei, drei 
Tagen stirbt, trifft ihn keine Strafe: „es ist ja sein eigenes Geld" 
(2. Mose 21, 21). Der Tagelöhner muß ersetzen, was unter seiner Obhut 
an Vieh zu Schaden kommt; der Dieb wird in die Sklaverei verkauft, der 
zahlungsunfähige Schuldner natürlich auch. Die Summen, die als 
gerichtliche Bußen festgesetzt werden, werden sämtlich für einen Armen 
einfach unerschwinglich gewesen sein.
	        
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