sich dagegen vergeht, wer doch den Tagelöhner druckt und den Schuldner
quält, — dem haben sie nichts anderes zu bieten als Jahwes Zorn!
Wer dieser Begründung ins Gesicht lachte, über den hatten sie keine
Gewalt. Wie anders haben sie ihren priesterlichen Gegnern Rache ge
schworen, als derselbe Elohist die grausige Phantasie ersann, das; die
Lewiten im Blute von dreitausend Anhängern des Goldenen Kalbes
gewatet seien.
Die einzige soziale Institution, die sie fordern, ist das sogenannte
Sabbatjahr: die auf der Brache im siebenten Jahre wildwachsende
Frucht soll den Armen gehören. Aber dieser Vorschlag ist eine absolut
unrealistische Utopie! Was sollte den Armen die Unterstützung im
jeweils siebenten Jahre, wenn sie in sechs Jahren längst hatten ver
hungern können? Und wovon sollten die Besitzenden selbst in diesem
siebenten Jahre leben? Sie hätten mit den Armen zusammen ver
hungern müssen! Tatsächlich hat denn auch, wie noch zwei Jahrhunderte
später bezeugt wird (3. Mose 26, 34) niemals jemand daran gedacht,
dieses unsinnige Gebot zu erfüllen. Wir werden aber finden, daß
solche Faulenzerutopien für die Sozialpolitik der Priester eine immer
wieder lebendige Anziehungskraft hatten. ^
Der Elohist hat noch an einer anderen Stelle der Gesetzgebung von
sozialen Verhältnissen gesprochen; aber da ist er nicht einmal so weit
gekommen, wie in der Erweiterung der Zehn Gebote. Er hat erzählt,
daß Mose vierzig Tage und vierzig Nächte bei Jahwe gewesen sei, um
die „Rechtssatzungen und Weisungen Jahwes" zu lernen, nach denen er
das Volk richten solle (2. Mose 24, 12—18). Diese „Rechtssatzungeu",
die dann im Wortlaut mitgeteilt werden, sind offenbar nicht
vom Elohistcu verfaßt. Er hat sie irgendwoher genommen,
um zu zeigen, daß sein Mose auch Herr des bürgerlichen
Gerichtes sei. ■ Sie selbst aber verraten in keinem Worte priesterliche
Entstehung. Es find Regeln für die Entscheidung schwieriger Fälle, wie
sie wohl bei allen Kulturvölkern schon frühzeitig niedergeschrieben
wurden; Weistümer, wie man im germanischen Mittelalter solche Rechts-
regeln nannte. Sie enthalten einerseits eine Sammlung von Fällen,
die mit dem Tode bestraft werden sollen, andererseits wesentlich viel
umfangreichere Rechtsregeln über Sklaven, über imvorsätzlichen Tod-
schlag, Körperverletzung, Fahrlässigkeit, Diebstahl, Depositum, Ver
gewaltigung der jungfräulichen Tochter und ähnliches mehr. Sie setzen
bereits sehr entwickelte Zustände voraus: nicht nur von Hans und Feld
ist die Rede, sondern auch von -Viehkauf, Verarmung, Tagelöhnern
und Geldstrafen vor Gericht. Ja, es wird bei Sühnung eines Schadens
häufiger die Erstattung in Geld als in natura, gefordert. So können
sie kaum vor dem neunten Jahrhundert vor Christus entstanden sein;
sie mögen aus der Praxis der Rechtsprechung heraus und für diese
Praxis geschrieben sein.
Diese Rechtssatzungen haben an sich keine Spur eines sozialen
Zuges, d. h. einer milden Rücksicht auf die Armen und Unterdrückten.
Frau und Tochter sind absolutes Eigentum des Mannes und Vaters,
der Sklave auch. Wenn der Herr ihn schlägt, daß er nach zwei, drei
Tagen stirbt, trifft ihn keine Strafe: „es ist ja sein eigenes Geld"
(2. Mose 21, 21). Der Tagelöhner muß ersetzen, was unter seiner Obhut
an Vieh zu Schaden kommt; der Dieb wird in die Sklaverei verkauft, der
zahlungsunfähige Schuldner natürlich auch. Die Summen, die als
gerichtliche Bußen festgesetzt werden, werden sämtlich für einen Armen
einfach unerschwinglich gewesen sein.