16
Nur an einem Punkte zeigen diese Rechtssatzungen ein freund
licheres Gesicht: Der israelitische Mann, der ans Ueberschuldung dem
Gläubiger als Sklave gegeben wurde, soll im siebenten Jahre wieder
frei werden. Nur wenn er will, soll er auf immer bei seinem Herrn
bleiben. Es ist möglich, daß diese eine mildere Bestimmung nicht zu
den alten Nechtssatzungen selbst gehörte, sondern daß hier der Elohist
eine Umarbeitung vollzogen hat. Wenigstens hat noch der Prophet
Jeremia (Jeremia 34) festgestellt, daß diese Freilassung bis etwa 394
vor Christus im wirklichen Leben niemals auch nur versucht worden ist.
Immerhin würde dies der einzige Punkt in den ganzen Rechtssatzungen
sein, an dem die soziale Tendenz der Lewiten zum Ausdruck käme. Im
übrigen haben sie Wohl die oberste Autorität auch über das bürgerliche
Recht für Mose und damit für sich beansprucht: aber sie haben materiell
an diesem Rechte nicht das Geringste geändert.
Dafür hat der Elohist diesen Rechtssatzungen einige kräftige Nach-
worte gegeben, in denen die sozialen Töne wieder stärker hervortreten:
sie beziehen sich sämtlich auf das Verhalten der Zeugen und Richter in
einem Prozeß:
„Nicht sollst Du ein Lügengerücht aussprengen: nicht sollst Du
Deine Hand dem Frevler bieten, ein falscher Zeuge zu werden; nicht
sollst Du hinter dein großen Haufen herlaufen, um Unrecht zu tun;
nicht sollst Tn bei einem Prozeß als Zeuge austreten, um von der
Wahrheit abzubiegen und das Recht zu beugen.
Einen Großen sollst Dil in seinem Prozeß nicht unterstützen;
nicht sollst Dil beugen das Recht Deines Armen in feinem Prozeß.
Von einer trügerischen Sache bleib fern; imd einen Unschuldigen,
der sich im Recht befindet, hilf nicht ilmbringen, lind dein, der int
Unrecht ist, sollst Du nicht zum Recht verhelfen.
Uild Bestechung sollst Du nicht annehmen. Denn Bestechung
macht die Sehenden blind und verkehrt die gerechte Sache."
Indem sie so Recht nnb Wahrhaftigkeit in der Prozeßführung
vertraten, nahmen die Leviten tatsächlich eine der Grundforderungen
der proletarischen Klassen auf. Daß gerade vor Gericht der Arme dem
Reichen rettungslos preisgegeben sei, ist eine Klage, die sich in den
Schriften aller älteren Propheten findet. Die uralte Vorstellung, die
gerade in der Heimat der Lewiten eine besonders lebendige Wirkung
gehabt hatte, daß Jahwe der Herr des Gerichts und der Hüter des
Rechtes sei, konnte hier zu neuein Leben erwachen. Die Priesterforderung,
auch über das bürgerliche Gericht in letzter Instanz die Entscheidung
zu haben, konnte so einen tieferen Inhalt bekommen. Gerade das
Stichwort, daß Jahwe der Gott von „Recht lind Gerechtigkeit" sei.
hat, wie wir später sehen werden, für die Vertiefung der Gottesidee
und die Katastrophe der israelitischen Religion das meiste getan.
Lernsprüche vermischten Inhaltes.
Durch die Aufnahme der Rechtssatzungen und der Sprüche über
gerechtes Gericht in die Jahwe-Offenbarung am Gottesberge war ein
Vorbild gegeben worden, das bald eifrige Nachahmer fand. War die
Schranke einmal durchbrochen, die noch der jahwistische Einsatz aufrecht-
erhalten hatte, daß nämlich Jahwe nur den Wortlaut des tevitischen
Grundgesetzes selber verkündet habe, so konnte nun jeder, der etwas
auf dem Herzen hatte, eine Spruchreihe bildeil, die Jahwe bei dieser