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Natürlich mußte diese Konzentration aller Opfergaben die Priester
der anderen Heiligtümer mit einem Schlage all ihrer Einkünfte be
rauben, und man hätte erwarten dürfen, daß sie sich deshalb auf Tod
und Leben der Neuregelung des Kultus wiedersehen würden •— wenn
nicht das Gesetz von vornherein Vorkehrungen getroffen hätte, diese
Opposition zu entwaffnen. Es bestimmte, daß jeder lewitische Priester,
der bisher au irgendeinem Lokalheiligtum amtiert hatte, nun nach
Jerusalem kommen dürfe: eine Stelle als Priester am Heiligtum
sollte ihni jederzeit offen stehen, und jederzeit sollte er „den gleichen
Anteil essen, ausgenommen die, welche Götzendiener und Toten
beschwörer waren". (18, 6—8.) Die Lewiten aber, die es vorziehen
sollten, in ihren Wohnorten zu bleiben, sollten von der jeweiligen Orts
gemeinde ihren Unterhalt finden. Wohltätigkeit gegen sie wird bei
jeder Gelegenheit jedem Israeliten zur Pflicht gemacht. So zog dies
Gesetz gerade diejenigen Priester als Bundesgenossen auf seine Seite,
die bisher die erbittertsten Feinde der königlichen Heiligtümer gewesen
waren.
Soziale Gesetze.
Auch jene andere Gruppe der Reformbewegung, die in den lewi-
tischen Programmen steigende Berücksichtigung gefunden hatte, die
Proletarier, suchte das Gesetz auf seine Seite zu ziehen. Wir sahen
diese Taktik schon in der Einleitung hervortreten; im Gesetz selbst
kommt sie in einer Fülle von einzelnen Bestimmungen zum Ausdruck,
die sich fast alle als eine Erweiterung und Ueberbietung der alten
Lewitenprogramme erweisen.
Schon das elohistische Gesetz hatte gefordert, daß man in jedem
siebenten Jahre das Feld brach liegen lasse; alles, was dann wild
darauf wachse, solle für die Armen bestimmt sein. Jetzt wird diese
Bestiinmnng vom Sabbatjahr in zwei besondere Gesetze gespalten:
Nicht mehr in jedem siebenten, sondern in jeden: dritten Jahre soll
der Armen gedacht werden; und nicht mehr der wild wachsende Ertrag
der Brache, sondern der volle reguläre Zehnte soll für sie bestimmt sein.
Die Priester verzichteten also auf einen Teil ihres Einkommens, um es
den Armen in jedem Orte zukommen zu lassen!
Andererseits soll in jedem siebenten Jahre das Erlaßjahr sein.
Da soll jede Schuldforderung verjähren, kein Darlehen soll zurück-
gezahlt werden, wer etwas geliehen hat, soll es nunmehr behalten!
Freilich weiß das Gesetz sehr genau, daß diese Einrichtung zwar sehr
volksfreundlich klingt, in Wirklichkeit aber direkt volksfeindlich wirkt:
sie würde zur Folge Haben, daß einfach kein Armer mehr von einem
Neichen ein Darlehen erhielte! Aber das Gesetz weiß gegen diese
Gefahr einen guten Rat, nämlich — den Appell an das Gewissen der
Reichen! „Wenn es unter dir einen Armein gibt, einen deiner Brüder
in einem deiner Wohnorte, so sei nicht hartherzig und verschließe deine
Hand vor deinem armen Bruder nicht, sondern öffne ihm bereitwillig
deine Hand und leihe ihm nach Bedarf. Hiite dich, daß nicht in deinem
Herzen der nichtswürdige Gedanke aufkommt: das siebente Jahr, das
Erlaßjahr, ist nahe! Und daß dein Auge dann scheel auf deinen armen
Bruder blicke und du ihm nichts gebest. Dann würde er wider dich
zu Jahwe schreien, und es würde Verschuldung auf dich kommen. Gib
ihm willig, und sei nicht mißgestimmt, wenn du ihm gibst; denn um
deswillen wird dich Jahwe, dein Gott, segnen bei all deinem Tun und