Die Wirkungen der Reform.
Es war die erste große Revolution, die die israelitisch-judäische
Geschichte erlebt hat, seit diese Völker zum Ackerbau übergegangen
waren. Zum ersten Male wurde mit vollem Bewußtsein und gründlich
mit der Vergangenheit des eigenen Volkes gebrochen. Schändung und
Verunreinigung alter Heiligtümer sind an sich nicht ohne Beispiel in
der Religionsgeschichte: die Erzählung von der Wotanseiche, die Boni-
fatins, der Apostel der Deutschen, gefällt haben soll, mag als das viel
leicht bekannteste Beispiel gelten. Aber säst immer handelte es sich dabei
um eine andere Religion, die von einem siegreichen Volke dem unter
worfenen mit Gewalt übermittelt ward. Hier aber ist es dasselbe Volk,
das durch eigenen Entschluß seine alte Religion verwirft und, wenn
auch nicht einen neuen Gott, so doch eine neue Art und Weise der Ver
ehrung dieses Gottes.übernimmt. Die Beispiele fair solche Revolutionen
sind immerhin selten in der Religionsgeschichte.
Daß die Jerusalemer Priester eine solche Revolution versuchten,
ist leicht zu begreifen: sie diente ja ihrer Nahrung und ihrer Macht!
Daß aber König und Volk in dem erschütternden Entschluß eines einzigen
Tages sich diesem Vorstoß der Priester unterwarfen, ist nur zu verstehen,
wenn man die Stimmung sinnloser Angst sich vergegenwärtigt, in der
die herrschenden Klassen in diesen Jahren gelebt haben müssen. Es war
ein letztes Mittel, ein letzter Strohhalm, nach dem inan griff, um die
Selbständigkeit des Staates gegenüber den großen Weltreichen zu retten.
Seit Menschenaltern schon hatte man sich gequält, Mittel und Wege
zur selbsterhaltung zu finden. Man war mit den Aegyptern gegen
die Assyrer und mit den Assyrern gegen die Aegypter gegangen; man
hatte fremde Götter aus der Ferne herangeholt, um durch ihre Gunst
das Leben zu erhalten. Immer hatte man nur wieder Tribut über
Tribut zu zahlen gehabt. Und zuletzt war ein Schwarm wilder Volks-
stämme aus dem Norden hereingebrochen, Skythen, die schon ganz Klein
asien durchstürmt hatten: man glaubte, das Ende sei nunmehr ge-
kommen. Noch einmal hatte man Luft bekommen: die wilden Gäste
hatten das Land abgefressen wie Heuschrecken, wie Jeremia sagt, dann
waren sie weitergezogen. Aber die 9tot im Lande selbst war auf das
höchste gestiegen: wie sollte man einem neuen Feinde begegnen, wo man
im Innern eine Bevölkerung hatte, deren soziale Nöte in tauten Worten
der Empörung sich Luft machte? Vielleicht, daß Jahwes Zorn durch
das Gesetzbuch sich wenden ließ! Die wahnsiniiige Angst vor der
drohenden Katastrophe bahnte der Priesterherrschaft den Weg.
Vielleicht hatten die Jerusalemer Priester ans einen so raschen
Sieg gar nicht gerechnet. Sie hatten sich, wie ihr Gesetzbuch zeigt, die
Lewiten und die Proletarier zu Bundesgenossen gewonnen; vielleicht
hatten sie gedacht, ihre Hilfe in einem wirklichen Kampfe brauchen zu
müssen. Da aber der König und die Minister selbst ans ihre Seite
traten, brauchten sie die alten Bundesgenossen nicht mehr. Daß sie
die Lewiten in Jerusalem nicht zum Priestertum zuließen, ward schon
erwählst. Von hier ab beginnt die Degradierung der Lewiten; im
späteren Judentum sind subalterne Tempeldicner aus ihnen ge-
lvorden. Aber auch die Proletarier kamen nicht zu ihrem Rechte.
Der Prophet Jeremia hat in seinen Schriften die Notiz
erhalten, daß bis hinter 590 vor Christus nicht ein einziges
Mal die Befreiung der Sklaven im siebenten Jahr ihrer
Knechtschaft verwirklicht wurde. Und mit dem großen Erlaßjahr