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Wenn er diesem Gott und seinen Priestern hilfreich entgegenkam, wenn
er sich für das Gesetzbuch einsetzte, das den Priestern die unbedingte
und absolute Autorität über das ganze Volk übertrug, und darüber
hinaus diesen Priestern noch völlige Abgabenfreiheit verhieß, so ist
daraus zu ersehen, daß das politische Interesse seiner eigenen Herrschast
auf diesen Priestern beruhte, daß er in ihnen die Vorkämpfer seiner
Weltmonarchie gegen etivaige Selbständigkeitsgelüste der Nationen er
kannt hatte. Wir sahen schon, daß diese Begründung ihrer Macht ans
die Priester die durchgehend geübte Politik bei allen persischen Königen
war. In dieser Periode waren sowohl die jiidischen als auch die baby
lonischen und ägyptischen Priester durch die Perser vollständig ent-
nationalisiert worden.
Für die Durchführung dieses Gesetzes ist somit die politische Ab
sicht des Weltkönigs wohl die wichtigste Triebkraft gewesen. Aber bei
der Entstehung des Gesetzes haben doch andere Gruppen die Führung
gehabt. Ohne Frage sind es zunächst die Priester gewesen, die an der
Abfassung dieses Gesetzbuches Interesse hatten. Sie sicherten sich damit
für immer Einkommen, Macht und die moralische Führung des Volkes.
Aber es wäre doch falsch, nur die Selbstsucht der Priester als schaffende
Kraft an diesem Gesetze gelten zu lassen. Jener Nehemia, der als
persischer Statthalter das Gesetz erst wirklich durchgeführt hat, war kein
Priester, sondern ein Laie, allerdings ein hochstehender und vermögen
der Mann. Ihm war es, wie seine Auszeichnungen zeigen, ein zwingen
des Herzensbedürfnis, für Jahwes Ehre und reinen Kultus zu streiten.
„Gedenke mir, Jahwe, was ich getan habe," ist ein Stoßgebet, das sich
ihm bei der Erzählung seiner Taten öfter entringt.
Wenn man das Gesetzbuch liest, kann man verstehen, was diesen
und andere Laien an ihm interessieren konnte: Es garantierte ihnen
die Heiligkeit ihres eigenen Lebens! Es schuf einen großen Heils
apparat, eine Entsündignngsanstalt, die automatisch in Jerusalein
funktionierte und den Inden in aller Welt Jahwes Gnade verschaffte.
Täglich stieg der Rauch der Versöhnungsopfer gen Himmel, am Sabbath
in siebenfach verstärkter Kraft, und an den heiligen Festen in wahr
haft verschwenderischer Fülle. Wer unter den „Heiden" lebte und in
Ackerbau, Handel oder Hofdienst mit ihnen Geschäfte machte, konnte sich
voir der Welt nicht ganz so fleckenrein halten, wie es die jüdische Sitte
und das Gebot Jahwes erfordert hätte. Wollte man doch an den Hoff
nungen des Jahweglanbens Anteil behalten, so mußte irgendwie dafür
gesorgt sein, daß die unvermeidlichen Sünden des täglichen Lebens
sofort ihre Sühne fanden, ehe sie Jahwe von seinem Volke entfremden
konnten. Diesem schlechten Gewissen gerade der reichen, weltläuftigen
Juden in Babylonien entsprach das Gesetzbuch, das am Tempel in
Jerusalem den täglichen Entsündignngsdienst organisierte.
So sind in diesem Gesetzbuch mehr als bei dem großen Reformwerk
von 623 auch religiöse Interessen einer Laiengrnppe zur Herrsch- und
Gewinnsucht der Priester hinzugekommen, um die große Grundlage
der jüdischen Kirche zu schaffen. Durchgeführt aber konnte sie nur
werden, weil auch das politische Interesse der Weltmonarchie in die
gleichen Richtungen ivies — und weil Nehemia im entscheidenden
Augenblick verstand, die sozialen Gegensätze in der jndäischen Bevölke
rung in seinem Interesse zu benutzen. Davon werden wir später aus
führlicher zu berichten haben.