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Kanaan. Jene Heilige Stätte bei Jerusalem, die das Kindopfer bis fast
zum Ende des judäischen Staates geübt hat, war dem Melech gewidmet.
Auch dieser Gottesname also bezeichnet mehr als eine einzelne lokale
Gottheit, er ist, wie Baal (Herr), eine Gesamtbezeichnung für den
kanaanäischen Gott überhaupt.
Aller Wahrscheinlichkeit nach wird man auch das hebräische Wort
Elohim (Gott) hieherziehen dürfen. Es ist, wie wir wissen, bei den
Israeliten die allgemeine Bezeichnung für Gott oder Gottheit gewesen
und somit abwechselnd neben Jahwe gebraucht worden. Sprachlich aber
ist es eine Bildung der Mehrzahl und heißt eigentlich „Götter". Nun
ist es unmöglich anzunehmen, daß jemals von sich aus die Israeliten
dazu gekommen sein sollten, ihren Gott Jahwe mit dem Worte „Götter"
zu bezeichnen. Vielmehr spricht alles dafür, daß schon die Kanaanäer
dieses Wort gebraucht haben, um damit die verschiedene!: Els ihres
Landes zu einer Einheit zusammenzufassen. Ursprünglich hat man
dabei wohl deutlich empfunden, daß Elohim eine Mehrzahl sei; später
hat sich das Gefühl dafür abgestmnpst, und Elohim ist, wie Baal, der
zusammenfassende Name des Gdttes von Kanaan geworden.
Eine Station auf diesem Wege bezeichnet vielleicht die merkwürdige
Vorstellung vom Götterpalast, dem Beth Elohim, der über Bethel im
Himmel liege, und von dein^die Himmelsleiter herabführe, deren Fuß
gerade auf dem Heiligen Stein von Bethel die Erde berühre. Der
Götterpälast an sich stammt, wie wir wissen, aus der babylonischen
Religion: aber die Vorstellung ist hier verwendet, um die verschiedenen
Lokalgötter von Kanaan zunächst wenigstens zu einer räumlichen Einheit
zu verbinden. An dieser stelle niag man zuerst das Wort Elohim als
Sammelname für die Lokalgöttcr gebraucht haben. Möglich, daß
dann gerade hier in Bethel die Gleichsetzung von Elohim und El
Schaddaj oder Baal erfolgte, die die einwandernden Israeliten schon
vorgefunden haben müssen, und die sie dann übernahmen.
NB. Die Grundlage für das in diesem Abschnitt kurz Zusammengefaßte
bildet die Zergliederung der Vätergeschichten, aus der insonderheit fol
gende Abschnitte in Betracht kommen: Die Götter von Hebron; Der Gott
Jzchak; Isaak und Jsmael; Die Götter Jakob und Esau; Die Himmelsleiter.
Jahwe neben den Göttern von Kanaan.
AIs die Israeliten nach Kanaan kamen, haben sie, wie ihre spätere
Geschichte beweist, ihren Stammgott Jahwe durchaus im Gedächtnis
behalten und haben sogar zunächst noch gewußt, daß Jahwes Heimat
und regelrechter Wohnsitz der Sinai sei. Aber sie. müssen schon früh
zeitig gelernt haben, neben Jahwe auch den Göttern des Landes ihre
Ehrerbietung zu bezeugen. Freilich haben wir für diesen Abschnitt der
israelitischen Religionsgeschichte noch kein direktes Zeugnis; das älteste
Denkmal der israelitischen Literatur stainmt vielmehr erst aus der
nüchstjüngeren Periode, etwa aus den Jahren 1120 bis 1100 vor
Christus: Aber es liegen Gründe vor, die einen solchen Zustand des
friedlichen Nebeneinander von Jahwe-Kultns und Verehrung der Götter
des Landes genügend erweisen.
Zunächst ist da auf das zu verweisen, was die Zergliederung der
Väter-Geschichten uns früher gelehrt hat. Alle altisraelitischen
Heiligtümer gehen auf kanaanäischen Ursprung zurück. Die Gottes
namen, die Kultusformen, ja auch die Legenden über die Entstehung