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Aber dieser Jahwe-Hymnus aus Davids Anfangszeit ist die letzte
Dichtung dieser Art, von der wir wissen, der letzte Hymnus wenigstens,
der unmittelbar aus dem überwältigenden Eindruck des Erlebnisses selbst
entstand, das er beschreibt. Was wir an Dichtung und Schriftstellerei
aus Davids Zeit sonst noch besitzen, zeigt bereits einen absolut anderen
Charakter. Das Kriegerische, Wilde, Heroische, Uebernatürlich-Phan-
tastische der alten Dichtung ist wie mit einem Schlage verschwunden,
und friedliche, man möchte säst sagen, bürgerliche Töne treten an seine
Stelle.
Schon Davids Sieg über Edom feiert nicht mehr ein Jahwe-
Hymnus, der die heroische Ausschmückung einer wirklich erlebten Schlacht
enthielte. Ein uralter Mythus wird umgedichtet; aber er verliert alle
eigentlich mythischen Züge. „Der ältere soll dem Jüngeren dienen",
das war einst das Stichwort des Liedes vom Kampf der Götter Esan
und Jakob gewesen. Das Stichwort ist geblieben, aber die Götter sind
völlig verschwunden: ein schlau berechnender Hirt und ein dumm-starker
Jäger sind an ihre Stelle getreten. Und Dichter und Hörer freuen sich
der geriebenen Schlauheit des Hirten, der Bruder und Oheim überlistet
und seinen Besitz ins Riesenhafte vermehrt. Mit geradezu überraschender
Plötzlichkeit ist an die Stelle von Krieg und. Sieg das Interesse an
Herden, Frauen und Kindern getreten. Noch wenige Jahrzehnte zuvor
hatte man in Israel vom Niesen Jakob gedichtet, der den Ureinwohnern
des Landes beit Bergrücken von Sichern mit Speer und Bogen entrissen
habe. In Juda ist schon jetzt aus dem riesigen Recken ein listiger Hirt
geworden.
Aus einer ähnlichen Umbildung eines uralten Mythus sind in der
selben Zeit die bekannten Simson-Geschichten entstanden, die wir im
Richterbuch lesen. Der Name Simson stammt aus vorisraelitischer
Zeit und hängt mit „Sonne" zusammen. Aber der lustige Held, der die
Torfliigel von Gaza aushebt und ans den nächsten Berg trägt, der
300 Füchse mit den Schwänzen zusammenbindet, Fackeln hineinsteckt und
sie so in das Korn der Philister jagt, der sich in jedes Mädchen verliebt
und von jedem Mädchen geprellt wird, der Rätsel ausgibt und ihre
Lösung vorzeitig der Liebsten verrät: dieser lustig-täppische Held hat
nichts mehr von mythischer Größe und nichts mdhr vom Jahwe-Helden
alten Stils, freilich noch weniger vom heiligen Propheten nach dem
späteren jüdisch-christlichen Ideal. Er ist eine humoristische Volksfigur
aus dem Zeitalter der Bauern-Schwänkc und -Possen, und er beweist, wie
rasch man in der behaglichen Zeit unter Davids und Salomos Herr
schaft die furchtbare Wirklichkeit der Philisterkriege vergaß.
Wenn man den „Segen des Jakob" liest, ist es, als sei dem Ver
fasser selbst der Unterschied der Zeiten zum Bewußtsein gekommen. Er
läßt den Ahnherrn über Juda sagen: „Ein Löwenjunges war Juda;
vom Raube, mein Sohn, wurdest du groß. Nun hat er sich gekauert,
gelagert wie ein Löwe, wie ein alter Leu: wer mag ihn stören?" Die
Vergangenheit des Krieges, für Juda insonderheit noch die des Lebens
als schweifender Bedninenstamm in der Wüste, liegt noch nahe genug.
Aber sie ist nun vorbei: der alte Löwe hat sich gelagert! Juda genießt
in Frieden sein prachtvolles Land. Und was für ein Land! „In
Traubenblut wäscht er sein Kleid, seine Augen funkeln von Wein, seine
Zähne sind weiß von Milch." Man fühlt, lote neu der Besitz dieses
Landes und der Genuß seiner Güter diesem Volke noch ist. Wein und
Milch füllen im Augenblick sein ganzes Interesse.