Full text: Die Propheten (6)

Opposition 
Proletarisierung. 
Zweimal hat das Volk Israel in seiner Geschichte eine rasche und 
starke Vermehrung seiner Bevölkerung erlebt, zuerst m dem Jahrhundert 
hinter der Ansiedelung, dann in den friedlichen Jahrzehnten, in denen 
David, Salomo und ihre nächsten Nachfolger herrschten. Die erste Ver 
mehrung hat aus dem Beduineustamm ein Volk werden lassen: Kolonien 
wurden vom Gebirge Ephraim aus in alle umliegenden Teile des 
Landes gesandt. Schließlich sind sie sogar in die Gegenden östlich des 
Jordans gedrungen. Die späteren israelitischen Stämme sind, wie wir 
wissen, aus solchen alten Banernkolonicn entstanden. So ist die erste 
Welle der Vermehrung ein fast ungetrübtes Glück für das Volk und 
eine Quelle der Kraft gewesen. 
Von der zweiten kann man das nicht ebenso uneingeschränkt sagen. 
Das Land war vergeben. Neue Kolonien sind nach der Zeit Davids 
nicht mehr ausgesandt wordein Auf demselben Areal hatie nun eine 
größer gewordene Menschenzahl Nahrung zu finden. Wie immer, führte 
das auch hier zur stärkeren Intensität in der Nutzung des Bodens. 
Die alte Zeit hatte, so scheint es, nur das Familieneigentum an 
Grund und Boden gekannt. Kinder und Kindeskinder waren da wohl 
zunächst unter dem Vater, dann unter dem ältesten Sohn, in einheit 
lichem Haushalt auf demselben großen Gute zusammengeblieben. Seit 
David und Salomo macht Zieh eine Aenderung bemerkbar. Nach dem 
Tode des Vaters teilen die Söhne das Gut, und zwar zu gleichen Teilen, 
nur daß der Aelteste den doppelten Anteil erhält. Die alte Familien 
gemeinschaft löst sich auf, die moderne Kleinfamilie tritt an ihre Stelle. 
Und wie überall, führte auch hier die Freiteilbarkeit zu einer raschen 
Verkleinerung manches Besitzes, während anderer durch seltenen Erbgang 
oder neue Zusammenlegung die alte Größe behielt. Zum ersten Male 
entwickelte'sich so ein deutlicher Unterschied der Besitzklassen; es entstanden 
Parzellengüter, die schon kaum mehr genügten, eine Familie selbständig 
zu ernähren, und Großbesitzer, die im Dorf und in der Stadt die 
ganze Gewalt in die Hand bekamen. Zum erstenmal hören wir in der 
Mitte des neunten Jahrhunderts von armen Witwen und schutzlosen 
Waisen. Die Großfamilic, in deren Schutz sie bis dahin gelebt hatten,, 
existierte also nicht mehr. 
Es kam eine andere Entwickelung hinzu, diesen Unterschied in den 
Besitzverhältnissen noch fühlbarer zu machen. Das Königtum trieb das 
Volk in die Geldwirtschaft hinein. Gcrichtsbußen und Steuern wurden 
immer mehr in bar ui Gelde gefordert. Der königliche Handel öffnete 
das Land dem auswärtigen Verkehr. Der phönizische und aramäische 
Kaufmann kam in die israelitischen Städte. Das Angebot fremder 
Ware rief die Nachfrage, rief steigende Bedürfnisse und steigenden Luxus 
hervor. Und forderte wieder bares Geld zu dessen Beschaffung. Im
	        
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