Full text: Die Propheten (6)

Anfang des nennten Whrhunderts erkämpfte der König von Damaskus 
das Recht, ein aramäisches Quartier m Samaria, der Hauptstadt von 
Israel, zu errichten. Nach einem glücklichen Kriege erstritt Ahab von 
Israel dasselbe Recht auch für israelitische Kaufleute in Damaskus, 
(l. Könige 20, 34.) Das mag ungefähr um 860 v. Chr. gewesen sein. 
Ma>i sieht, wie stark seit Salomo die Geldwirtschaft sich im Lande 
entwickelt hatte. 
Wie immer, so hob die Geldwirtschaft auch hier deil, der etwas 
hatte, nild stieß den Schwachen ganz ins Elend hinab. Verschuldung, 
Schuldsklaverei, Tagelöhnerarbeit und Landverlust treten auf. Tie 
ältesten Gesetze, die diese Verhältnisse regeln, sind noch inl nennten Jahr 
hundert entstanden. 
Wie diese soziale Wandlung auf die Religion gewirkt hat, haben 
wir früher an der Paradiesgeschichte gesehen. Sie zeigt den Wandel 
der Stimmung in kleinbäuerlichen Kreisen. Der Jubel, mit dem inan 
einst die „Fettgefilde der Erde" begrüßt hatte, ist verklungen. Man 
fühlt nicht mehr den Segen, sonder» den Finch Jahwes auf den: Acker 
ruhen. Man träumt von der unwiederbringlich verlorenen Zeit, wo der 
Gottesgarten ans Erden stand, wo man Wasser in Fülle hatte und von 
Baumfrüchten lebte, die keine schwierige Arbeit^ brauchrien. Und man 
ärgert sich über den steinigen Acker, den sauren Schweiß und die ewigen 
Dornen und Disteln. Man steht unter dem Bann einer ewig erfolg 
losen Arbeit und fühlt auf einmal alle die Alltagsmühen, an die man 
ehedem gar nicht gedacht hatte. 
DaS Weib war für die altisraelitische Schöpfungsgeschichte die 
Krone der Schöpfung gewesen-, in der Liebesumarmung von Mann und 
Weib gipfelt ihr ganzer Jubel. Für den Paradiesdichter ist das Weib 
der Anfang des Elends: sie ist schuld, daß der Gottesgarten verloren 
ging! Und sie ist es, die trotz aller Schmerzen das rätselhafte Perlangen 
hat, immer neue Kinder zu empfangen. Tie Uebervölkerung und das 
Elend der kinderreichen Familie liegen dem Dichter schwer ans der Seele. 
Es ist nicht Segen und Jubel, es ist der Fluch, der zu immer neuer 
Licbesnmarmnng treibt. Im Paradies lebte man wie die Kinder: 
man war nackt und merkte es nicht! 
Und in der ganzen Grämlichkeit dieser Stiinmüng taucht ein ur 
alter Gedanke auf, der Jahrhunderte hindurch anscheinend geschlafen 
hatte: der dunkle, launische, neidische Gott! Jahwe wollte nicht, daß 
die Menschen unsterblich und weise würden wie er! Er war eifersüchtig 
auf seinen Vorrang bedacht: und er hat dafür gesorgt, daß der Abstand 
zwischen sich und den Menschen gewahrt blieb! Das waren uralte 
Melodien in neuer Tonart, ein Grundgedanke, der von nun an durch 
alle Formten- der proletarischen Religion hindurchgehen sollte. 
Aber der Dichter weiß noch keine Rettung. Noch ist es ihni un 
angetastet, daß der Normalmensch Bauer ist lind nichts anderes. Ein 
soziales Ideal, das er der lähmenden Wirklichkeit entgegenzustellen 
vermöchte, hat er noch nicht, noch weniger eine Hoffnung, daß es in 
irgendwelcher Zukunft anders sein könnte. Sein Trost ist der Wein, 
den Jahwe von eben dem Acker hat wachsen lassen, den er vorher 
verflucht hatte: der Wein gibt uns Ruhe und Trost und macht das' 
Elend erträglich. Damit zeigt der Dichter, daß er noch ganz im Anfang 
der hier zu schildernden Entwickelung steht. Er mag schon in den.nächsten 
Jahrzehnten nach Salomo seine Dichtung niedergeschrieben oder gesungen 
haben.
	        
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