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Wenn auch ein gut Teil angesehener Israeliten zu ihr gehörte. Und
das ist etwas Neues, was die Religionsgeschichte Israels bisher noch
nicht gekannt hatte.
Die Verflechtung der herrschenden Klasse in die internationalen
Beziehungen der Politik und des Handels zeigt hier ihre erste Wirkung
auch auf die Religion dieser Klasse. Sie mochten wohl glauben, daß
der Gott der das Weltmeer befahrenden Kaufleute mächtiger sei als
der altvaterische Jahwe des gebirgigen Hinterlandes, das abseits
von den Straßen des Welthandels lag. Der phönizische Gott hatte
seinem Volke Kenntnisse und Fertigkeiten geschenkt: Lesen, Schreiben,
Rechnen, Schiffbau, Gewerbe, Handel und anderes mehr. Er war
der gebildete, kultivierte, weltmännische Gott. Es ist leicht zu verstehen,
daß die neuen Verbindungen des Handels manchen reichen Israeliten
reizen mußten, ganz hi der Kultur des Weltgottes aufzugehen.
Vom Standpunkt der altisraelitischen Religion aus gesehen, war
das ein Abfall. Aber au sich, entwickelungsgeschichtlich betrachtet, ist
auch darin der Fortschritt der Zeiten zu sehen. Man begann, indivi
dualistisch zu werden. Mau,nahm die väterliche Religion nicht mehr
als selbstverständlich hin; man prüfte, verglich und wählte und, aus
welchen Gründen auch immer, man entschloß sich zum Teil, einem anderen
Gott den Vorzug vor dem ererbten zu geben. Der wirtschaftlichen Reg-
samkeit in den herrschenden Klassen beginnt die geistige Freiheit zu
folgen.
Aber gerade, weil es ein Fortschritt war, den die Kultur der Reichen
hier machte, mußte er die Kluft in der Bevölkerung nur noch mehr erhöhen.
Für den gemeinen Manu war es unerhörte Neuerung, unausdenkbarer
Frevel, daß neben Jahwe noch ein anderer Gott im Lande gelten sollte.
Die alte Zeit, da das ganze Volk mehrere Götter neben Jahwe verehrt
hatte, war seit mindestens drei Jahrhunderten völlig vergessen. Jetzt
waren es die Reichen, die die Neuerung schufen. Sie fielen von Jahwe
ab, sie waren untreu gegen den Gott ihres Volkes!
Und diese Reichen, König und Beamte an ihrer Spitze, waren die
selben, die das arme Volk quälten und preßten, die durch Bußgelder,
Steuern, Handelsschulden es in Verzweiflung jagten, von Haus und
Hof vertrieben und in Schuldsklaverei brachten. Die Jahwe-Treuen ver
folgt, geschunden, verarmt; die Jahwe-Verächter stolz und reich! Jahwe,
der alte Gott der Väter, der Schicksalsgenosse und darum der Schutz
der Armen! Das sind die neuen Gedanken, die aus der Glut dieser
Nöte entstanden. Erst sie sind es gewesen, die der israelitischen Religion
ihre weltgeschichtliche Größe gaben. Und in diesen Gedanken und in
ihren weiteren Konsequenzen erlebten auch die unteren Klassen den Fort
schritt der Zeiten. Auch ihre Frömmigkeit ist über die altisraelitische
Religion unendlich hinausgewachsen.
So war etwa ein Jahrhundert nach Davids Tod die altisraelitische
Religion überhaupt zu Ende. Sie mündete in den oberen Klassen in
einem Individualismus, der die altüberlieferten Formen des Glaubens
sprengte und neue, modernere, weltläuftigere Görter suchte, lind in
den unteren Klassen prägte sie sich um zu einem neuen Glauben, in dem
der überlieferte VolkSgott Jahwe zum Gott des Rechtes und der Gerech
tigkeit ward. Die Regierung Ahabs (rund 870 bis 850 vor Chr.) bildet
die Grenzscheide der Perioden, in der das Neue sowohl oben wie nuten
zum ersten Male hervorbricht.