Full text: Die Propheten (6)

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Wenn auch ein gut Teil angesehener Israeliten zu ihr gehörte. Und 
das ist etwas Neues, was die Religionsgeschichte Israels bisher noch 
nicht gekannt hatte. 
Die Verflechtung der herrschenden Klasse in die internationalen 
Beziehungen der Politik und des Handels zeigt hier ihre erste Wirkung 
auch auf die Religion dieser Klasse. Sie mochten wohl glauben, daß 
der Gott der das Weltmeer befahrenden Kaufleute mächtiger sei als 
der altvaterische Jahwe des gebirgigen Hinterlandes, das abseits 
von den Straßen des Welthandels lag. Der phönizische Gott hatte 
seinem Volke Kenntnisse und Fertigkeiten geschenkt: Lesen, Schreiben, 
Rechnen, Schiffbau, Gewerbe, Handel und anderes mehr. Er war 
der gebildete, kultivierte, weltmännische Gott. Es ist leicht zu verstehen, 
daß die neuen Verbindungen des Handels manchen reichen Israeliten 
reizen mußten, ganz hi der Kultur des Weltgottes aufzugehen. 
Vom Standpunkt der altisraelitischen Religion aus gesehen, war 
das ein Abfall. Aber au sich, entwickelungsgeschichtlich betrachtet, ist 
auch darin der Fortschritt der Zeiten zu sehen. Man begann, indivi 
dualistisch zu werden. Mau,nahm die väterliche Religion nicht mehr 
als selbstverständlich hin; man prüfte, verglich und wählte und, aus 
welchen Gründen auch immer, man entschloß sich zum Teil, einem anderen 
Gott den Vorzug vor dem ererbten zu geben. Der wirtschaftlichen Reg- 
samkeit in den herrschenden Klassen beginnt die geistige Freiheit zu 
folgen. 
Aber gerade, weil es ein Fortschritt war, den die Kultur der Reichen 
hier machte, mußte er die Kluft in der Bevölkerung nur noch mehr erhöhen. 
Für den gemeinen Manu war es unerhörte Neuerung, unausdenkbarer 
Frevel, daß neben Jahwe noch ein anderer Gott im Lande gelten sollte. 
Die alte Zeit, da das ganze Volk mehrere Götter neben Jahwe verehrt 
hatte, war seit mindestens drei Jahrhunderten völlig vergessen. Jetzt 
waren es die Reichen, die die Neuerung schufen. Sie fielen von Jahwe 
ab, sie waren untreu gegen den Gott ihres Volkes! 
Und diese Reichen, König und Beamte an ihrer Spitze, waren die 
selben, die das arme Volk quälten und preßten, die durch Bußgelder, 
Steuern, Handelsschulden es in Verzweiflung jagten, von Haus und 
Hof vertrieben und in Schuldsklaverei brachten. Die Jahwe-Treuen ver 
folgt, geschunden, verarmt; die Jahwe-Verächter stolz und reich! Jahwe, 
der alte Gott der Väter, der Schicksalsgenosse und darum der Schutz 
der Armen! Das sind die neuen Gedanken, die aus der Glut dieser 
Nöte entstanden. Erst sie sind es gewesen, die der israelitischen Religion 
ihre weltgeschichtliche Größe gaben. Und in diesen Gedanken und in 
ihren weiteren Konsequenzen erlebten auch die unteren Klassen den Fort 
schritt der Zeiten. Auch ihre Frömmigkeit ist über die altisraelitische 
Religion unendlich hinausgewachsen. 
So war etwa ein Jahrhundert nach Davids Tod die altisraelitische 
Religion überhaupt zu Ende. Sie mündete in den oberen Klassen in 
einem Individualismus, der die altüberlieferten Formen des Glaubens 
sprengte und neue, modernere, weltläuftigere Görter suchte, lind in 
den unteren Klassen prägte sie sich um zu einem neuen Glauben, in dem 
der überlieferte VolkSgott Jahwe zum Gott des Rechtes und der Gerech 
tigkeit ward. Die Regierung Ahabs (rund 870 bis 850 vor Chr.) bildet 
die Grenzscheide der Perioden, in der das Neue sowohl oben wie nuten 
zum ersten Male hervorbricht.
	        
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